Aufstiegsfeier: Holstein legt Kiel lahm
Etwa 20.000 Menschen sind im Feierrausch - mitten am Tag, mitten auf der Straße. Die zwei Mannschaftsbusse von Holstein Kiel fahren im Schritttempo durch die Straßen. Mit reichlich Verspätung ist irgendwann der Rathausplatz erreicht - wo alle Dämme brechen.
Es ist ein mutiges Unterfangen: mit zwei Mannschaftsbussen mitten durch die Kieler Straßen fahren. An Bord: alle Spieler von Holstein Kiel, also frisch gebackene Bundesliga-Aufsteiger. Die Helden der Stadt. In Shorts, blauen Aufstiegsshirts und rot-weiß-blauen Sonnenhüten. Um 14 Uhr geht’s los - zwei Stunden sind angesetzt. Es war eigentlich klar, dass dieser Zeitplan nicht klappen kann.
"Hier ist der Aufstiegsexpress!"
Beim Holstein-Stadion geht's los. Hunderte haben sich schon hinter dem Zaun versammelt. "Wo kommt man den Spielern sonst so nah?", freut sich eine Mutter aus Felm (Kreis Rendsburg-Eckernförde), die all ihre Kinder dabei hat.
Shuto Machino hat sich in eine Holstein-Fahne gewickelt, trinkt Bier, ist mega relaxed. Timo Becker entwickelt sich schon hier zum Showmaster, heizt die Leute an, singt: "Der Zug hat keine Bremsen" und andere Gassenhauer. Stadionsprecher York Lange brüllt ins Megafon: "Hier ist der Aufstiegsexpress, hier ist die Erste Liga!" "Sweet Caroline" tönt aus den Boxen - der Bus wackelt.
Schwenke verteilt Sektduschen
Dann geht's durch die Straßen Kiels. Zuerst noch einigermaßen zügig. Kinder rennen nebenher, ein Mofafahrer zündet eine Konfetti-Bombe. Schon bald werden die Straßen voller. Bei strahlendem Sonnenschein werden die Holstein-Spieler eingerahmt von Fans und zusammen singen sie "Keine andere Stadt, keine andere Liebe".
Kleine Kinder in Holstein-Trikots, ältere Damen fahnenschwenkend auf Fahrrädern. Holstein-Geschäftsführer Wolfgang Schwenke raucht in luftiger Höhe auf dem Bus eine Zigarre und verteilt lachend Sekt auf den Köpfen der Fans.
Boxenstopp an der Tankstelle
Die Busse steuern auf einmal eine Tankstelle an. Es fehlt Benzin - kaum zu glauben. Die Mannschaft singt: "Und die ganze Tanke hüpft, olé olé!" - und alle Fans singen mit.
Co-Trainer Alexander Hahn ist schon gut in Stimmung, singt aus voller Kehle. "Die Kieler haben Bock auf uns - und wir auf sie", freut er sich. Oben auf dem Bus schwenken Niklas Niehoff und Lasse Rosenboom die KSV-Fahne, blicken runter auf das Meer von Fans im Knooper Weg. Sie genießen in vollen Zügen, saugen die Stimmung auf. Auf Balkonen stehen viele Leute, die tanzen und singen. Ein Mann trägt nur eine Kapitänsmütze - sonst nicht viel. Dafür wird er gefeiert. Die Handys am Straßenrand - sie sind nicht zählbar.
Fridjonsson macht Klimmzüge an der Ampel
Irgendwann geht es gefühlt gar nicht mehr weiter. Spieler Holmbert Aron Fridjonsson macht kurzerhand Klimmzüge an einer Ampel, die über die Straße führt. Die Masse johlt. Zwei Fans schieben den Bus an. Es ist so wahnsinnig viel los, dennoch passiert überhaupt nichts Schlimmes. Polizei? Nirgendwo zu sehen.
Ein TV-Kameramann sagt: "Ich fahre ja viel ins Ausland und mache da auch Fußball. Aber sowas Friedliches wie hier in Kiel habe ich noch nie gesehen." Der ein oder andere Fan hat sich richtig herausgeputzt wie Maik aus Kiel: bemaltes Trikot, rote lange Strümpfe, breites Grinsen. "Seit 1995 bin ich Fan. Endlich geschafft, der Aufstieg!" Überall werden Autokennzeichen verteilt mit der Aufschrift: "Kiel 1. Liga!"
Eintrag ins Goldene Buch im Rathaus
Irgendwann - nach zwei Stunden Verspätung - kommen die Busse beim Rathaus an. Die Spieler werden von Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) empfangen, und der jubelt: "Kiel ist nicht nur eine geile Handballstadt, Kiel ist auch eine geile Fußballstadt!"
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist auch da, sichtlich stolz. Aber er hält sich im Hintergrund: "Auf den Balkon gehe ich nicht mit. Das ist der Moment der Mannschaft." Die Spieler tragen sich ins Goldene Buch ein - noch ganz beseelt von dem Bustrip durch die Landeshauptstadt.
"Das war überragend, der absolute Wahnsinn", sagt Spieler Patrick Erras. "Sowas erlebt man nicht oft in der Karriere, wahrscheinlich nur einmal." Irre sei es gewesen, wie die Menschen mitgelaufen sind mit den Bussen, sagt er, und nimmt sein Töchterchen auf den Arm.
Holtby: "Kiel hat unglaublich Potenzial"
Benedikt Pichler schwebt ebenfalls im siebten Fußballhimmel: "Sowas zu erleben, da sind schon ganz große Emotionen bei. Leute zu erreichen, die sonst gar nichts mit Fußball zu tun haben…" Auch Lewis Holtby ist begeistert: "Die Stadt Kiel hat unglaublich Potenzial!" Was jetzt gehen könnte in der nächsten Saison in der Bundesliga? "Nichts ist unmöglich. Sei ein Team, hab' einen festen Glauben, dann ist einiges möglich", sagt Holtby.
Geschäftsführer Wolfgang Schwenke hat hier auf dem Rathausbalkon schon häufiger gestanden, als er selbst als THW-Handballspieler die Meisterschale hochgehalten hat. Aber was hier gerade in Kiel abgeht, so der Manager, das übertreffe nochmal alles: "Die Kieler Fußballfans haben das herbeigesehnt. Die Menschen auf den Straßen - das war herzzerreißend."
Menge am Rathaus feiert ihre Helden
Dann ist der Moment gekommen: Die Spieler gehen auf den Rathausbalkon, lassen sich unter ohrenbetäubendem Lärm von den Massen unten auf dem Platz feiern. Gehen später auf die Bühne, singen, tanzen, trinken und feiern - übrigens in den neuen Trikots, die sie dann in der Bundesliga tragen werden. Eine Sektdusche folgt der nächsten, Trainer Marcel Rapp bekommt vor Heiserkeit kaum noch ein Wort raus. Jeder einzelne Spieler wird von den 10.000 Fans begeistert bejubelt. Der eine oder andere beweist, dass er durchaus singen kann. Ein Lied bleibt besonders im Ohr: "2025 - ja ihr werdet es ja sehen - wir holen die Meisterschaft und den Pokal. Holstein Kiel international!"