Was Fußball heute noch mit Zwangsarbeitslagern der Nazis zu tun hat
Zahlreiche Fußballplätze wurden im Nationalsozialismus bundesweit zu Zwangsarbeitslagern umfunktioniert. Ein Osnabrücker Projekt ruft zur Spurensuche auf, welche Fußballplätze betroffen sind.
Der Fußballplatz im Osnabrücker Stadtteil Gartlage - hier jubelten 1939 fast 20.000 Fans, als der VfL Osnabrück gegen den damals amtierenden Deutschen Meister Hannover 96 gewann. Nur knapp drei Jahre später wurden auf demselben Platz mehr als 1.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion zusammengepfercht. Solche Räume will das Forschungs- und Bildungsprojekt "Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts - NS-Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen" aufdecken. "Das hat in der Nachbarschaft stattgefunden. Es sind Sportplätze, wo die Leute selber Fußball gespielt oder Sport geschaut haben", so Projektkoordinator Julian Krings.
Überlebende von NS Zwangsarbeitslager
Die Ukrainerin Antonina Vasilijewna Sidoruk wurde mit 14 Jahren nach Osnabrück deportiert, um in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. "Die Aufseher weckten uns um 4 Uhr morgens. Sie gaben uns Gerstenkaffee und 150 Gramm Brot. Wir gingen sechs Kilometer zur Fabrik. Wir haben zwölf Stunden gearbeitet und kehrten dann zurück." Bis zur Befreiung 1945 musste Sidoruk mit anschauen, wie ihre Freunde totgeprügelt wurden oder an verdorbenem Essen starben. Die Ukrainerin selbst überlebte den Krieg und starb im Jahr 2023.
Initiativzündung durch Fans vom VfL Osnabrück
Als zur Debatte stand, an der Gartlage ein Trainingszentrum zu errichten, wurde das VfL-nahe Bündnis "Tradition lebt von Erinnerung" aktiv. "Für uns alle war eine Motivation, den Fußball eben nicht nur als Erzählungen von Siegen und Niederlagen zu sehen, sondern auch die Geschichte in den Blick zu nehmen", so Lisa Roggenkamp, Mitglied bei dem Bündnis. Anfang 2023 ging dann in Zusammenarbeit mit den Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht das Projekt an den Start. Gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).
Bislang 16 Orte des Unrechts in Niedersachsen
Der Zusammenhang von Sportplätzen und Zwangsarbeit ist in der Wissenschaft bislang wenig bekannt, so Projektkoordinator Krings. Warum die Lager ausgerechnet auf Sportplätzen gebaut wurden, habe verschiedene Gründe. Auf dem aufgearbeiteten Boden konnte man zum einen leicht Baracken bauen. Manchmal war aber auch nur die Nähe zur Kriegsindustrie entscheidend. Bislang konnten Fußballfans in Deutschland und Österreich fast 180 Sportplätze im Rahmen des Projektes identifizieren.
Otto "Tull" Harder: Kommandant im KZ-Außenlager Ahlem
Darunter sind auch heutige EM-Stadien, wie die Tribüne des damaligen Volksparkstadions in Hamburg oder das Rheinstadion in Düsseldorf. Außerdem viele kleine Sportstätten von Amateurvereinen, wie beispielsweise in Hannover-Ahlem. Dort lag früher auf einem Teil des heutigen Fußballplatzes das KZ-Außenlager Ahlem. Das Kommando hatte Otto "Tull" Harder, ehemaliger Kapitän der Nationalmannschaft und HSV-Legende.
Spurensuche geht noch bis Jahresende
"Über den Fußball schafft man einen neuen Zugang, um auch Leute zu erreichen, die man vorher mit klassischen Erinnerungsprojekten vielleicht nicht erreicht hätte", so Krings. Ende 2024 soll man über eine interaktive Karte Zeitzeugeninterviews und Fotos abrufen können. Außerdem sollen Gedenktafeln aufgestellt werden. Für Fußball- und Geschichtsinteressierte, die noch Beiträge zum Projekt leisten können, bleibt so noch ein halbes Jahr Zeit, um sich auf Spurensuche zu begeben - nach Jubel und Unrecht.