"Letzte Generation" geht aufs Land: Nun auch "Dorfblockade"
Die Klimaproteste der "Letzten Generation" spalten: Ist es gerechtfertigt, sich festzukleben und Straßen zu blockieren? Bislang war diese Debatte nur für Städter relevant - das dürfte sich ändern.
"Habt ihr eure Privathandys abgegeben? Und eure Personalausweise dabei?" Routiniert gehen Eika Jacob und Arne Springorum mit den anderen Klimaaktivisten die letzten Punkte des geplanten Protests durch. Rund ein Dutzend von ihnen hat sich an diesem regnerischen Morgen Mitte Februar auf einem Parkplatz in Barnstorf im Landkreis Diepholz versammelt. Acht von ihnen werden gleich eine Sitzblockade einrichten, mitten im Zentrum des 6.500-Einwohner-Ortes.
"Erste Dorfblockade in Niedersachsen"
"Bisher haben wir mit der 'Letzten Generation' eigentlich nur in größeren Städten demonstriert", erklärt Springorum. "Das hier wird die erste Dorfblockade in Niedersachsen. Aber wir sehen die Klimakrise als so dringlich an, dass wir in Zukunft überall protestieren werden - auch auf dem Land."
Springorum hat Erfahrung: Seit vier Jahren engagiert sich der studierte Geologe als Klimaaktivist, er hat schon an vielen Protesten im In- und Ausland teilgenommen. Doch die geplante Blockade in Barnstorf ist etwas Besonderes für ihn: "Ich bin hier aufgewachsen. Das ist mein Heimatort, auch wenn ich nicht mehr hier wohne. Das fühlt sich schon besonders an."
80-jährige Klimaaktivistin: "Für Zukunft der Enkel kämpfen"
Ein Gefühl, das die Mehrzahl der Demonstrierenden teilt: Die meisten von ihnen leben in Barnstorf und Umgebung, viele haben noch nie zuvor an einer Protestaktion mit zivilem Ungehorsam teilgenommen. Auch Regine Springorum nicht - die 80-jährige pensionierte Lehrerin aus Barnstorf ist heute die älteste Demonstrantin. Sie möchte gemeinsam mit ihrem Sohn Arne und ihrem Enkel Vitek auf die Klimakrise aufmerksam machen, auch wenn sie dabei wahrscheinlich auch ihre Nachbarn und ehemalige Schülerinnen und Schüler behindern wird. Trotzdem ist sie entschlossen, die Blockade mitzumachen: "So viel Zeit bleibt mir in meinem Leben wahrscheinlich nicht mehr", sagt sie. "Da ist es nicht mehr so wichtig, was die Barnstorfer von mir denken. Aber ich habe sieben Enkel - und für deren Zukunft möchte ich kämpfen."
Klimaaktivisten blockieren Brücke - ein Nadelöhr
Direkt danach macht sich die Gruppe auf den Weg. Die Demonstration ist nicht angekündigt, weder die Barnstorfer Öffentlichkeit noch die Behörden sind informiert. Lediglich ein paar Journalisten der lokalen Zeitungen haben kurzfristig einen Tipp bekommen und begleiten die Demonstrierenden, die jetzt zügig zu ihrer Blockadestelle laufen: die Bundesstraße 51 in der Ortsmitte von Barnstorf, direkt vor der einzigen Straßenbrücke über die Hunte im Umkreis von ein paar Kilometern. Ein Nadelöhr, mitten im Berufsverkehr.
Lkw-Fahrer gibt Gas und fährt auf Blockierer zu
Gegen 8.15 Uhr nutzen die Demonstrierenden die Rotphase einer nahen Fußgängerampel und betreten die Fahrbahn. Sie tragen Warnwesten und Transparente. Bevor die Fußgängerampel wieder auf Grün springt, sitzen sie auf dem Asphalt. Die Straße ist blockiert. Erst langsam wird den Autofahrenden klar, was hier passiert - und dass sie erst mal nicht weiterfahren können. Die ersten Reaktionen von Verkehrsteilnehmenden und Passanten sind im ländlichen Barnstorf nicht anders als bei Blockaden in den größeren Städten: Ärger, Unverständnis, Frustration.
Autofahrer hupen, schimpfen, Passanten schütteln mit dem Kopf. Ein Lkw-Fahrer in der ersten Reihe flucht lauthals, dann gibt er einfach Gas und fährt auf die Demonstranten zu - eine brenzlige Situation für alle Beteiligten. Schreien, Chaos, erst im letzten Moment können Arne Springorum und zwei andere Aktivisten ausweichen, der Lkw fährt durch. Direkt danach schließen die Demonstrierenden wieder die Blockade.
Anwohner bezweifeln den Sinn der Aktion
Andere reagieren zwar nicht so aggressiv, doch verärgert sind sie auch. Ein Landwirt steigt von seinem Trecker und ereifert sich: "Wir sind alle Steuerzahler, wir haben alle so viel zu tun, und dann so ein Scheiß? Das kann's doch nicht sein." Am Straßenrand daneben steht eine ältere Barnstorferin. "Ich bin ja auch für Klimaschutz", sagt sie. "Aber von so einer Aktion hat doch niemand was. Im Gegenteil, die Autos stehen jetzt hier und produzieren Abgase. Das macht doch alles keinen Sinn."
Straßenblockade: "Andere Protestformen haben nicht genug gebracht"
Die acht Demonstrierenden auf der Fahrbahn nehmen das alles stoisch hin. "Ich kann die Leute und ihre Wut gut verstehen", sagt Eika Jacob, die in der Straßenmitte sitzt. "Die Leute haben Termine, wollen zur Arbeit oder ihre Kinder in die Schule bringen - und dann sitzen wir hier und blockieren sie. Natürlich ist das nicht gerecht, und es tut mir auch leid. Aber andere Protestformen haben nicht genug gebracht, um die Politik zu mehr Klimaschutz zu bringen. Also sitzen wir hier."
Die Autofahrerinnen und Autofahrer vor Ort, das betonen alle Demonstrierenden, seien nicht die Adressaten ihrer Blockade. Die richte sich vor allem an die Politik. "Wir wollen, dass die Regierung den Klimaschutz so ernst nimmt, wie es die Verfassung fordert", erklärt Jacob. "Wir wollen schnelle Maßnahmen wie ein Tempolimit und einen gesamtgesellschaftlichen Bürgerrat, der zusammen mit der Wissenschaft Vorschläge erarbeitet. Wenn das auf dem Weg ist, hören wir auf."
Polizisten wirken erst mal etwas ratlos
Bereits nach wenigen Minuten trifft der erste Streifenwagen am Blockadeort ein. Für die Beamtinnen und Beamten aus dem Landkreis Diepholz ist es der erste Klimaprotest dieser Art. Entsprechend wirken sie ein wenig ratlos angesichts der Demonstrierenden, von denen sich einige inzwischen mit Sekundenkleber an der Fahrbahn festgeklebt haben. Sie beginnen damit, die Blockadestelle abzusperren und die inzwischen mehrere hundert Meter langen Rückstaus abzuleiten. Ein inzwischen eingetroffener Einsatzleiter fordert die Demonstrierenden auf, die Straße freizugeben, diese lehnen das ab.
Räumung der Straße: Vorsichtig und respektvoll
Nach knapp einer Dreiviertelstunde und mehreren Aufforderungen, die Fahrbahn zu verlassen, beginnen die Ordnungskräfte mit der Räumung. Mit Öl und Lösungsmitteln machen sich mehrere Sanitäter und Polizistinnen daran, die festgeklebten Hände zu lösen. Alle Beteiligten sind sichtlich bemüht, vorsichtig und respektvoll miteinander umzugehen - die Polizistinnen und Polizisten versuchen, niemandem wehzutun, die Demonstrierenden leisten keinen aktiven Widerstand, während sie nach und nach von der Fahrbahn auf den Bürgersteig getragen werden.
Verurteilung wegen Straftat nehmen Blockierer in Kauf
Nach knapp einer Stunde ist die Blockade aufgelöst, der Verkehr fließt wieder. Am Straßenrand erfasst die Polizei die Namen aller Protestierenden, um gegebenenfalls Ermittlungen gegen sie einzuleiten. Formaljuristisch können Straßenblockaden wie die gerade zu Ende gegangene als Nötigung und damit als Straftat gewertet werden. Allerdings sei das auch Auslegungssache, meint Arne Springorum: "Wir werden schon regelmäßig verurteilt, aber es gibt auch immer mehr Freisprüche", erzählt er. "Es kommt immer darauf an, ob ein Gericht unseren Protest als unberechtigt ansieht oder ob es die Klimakrise als Ausnahmesituation bewertet, die unser Verhalten rechtfertigen kann. Da weiß die Justiz oft einfach noch nicht, wie sie mit uns umgehen soll." Das Risiko einer Verurteilung müssten sie in Kauf nehmen. So lange die Politik nicht genug tue, müsse man halt weiter blockieren. In den Städten und auf dem Land.