Welche Bahnstrecken werden in Niedersachsen reaktiviert?
Niedersachsens Landesregierung plant die Reaktivierung von alten Bahnstrecken. Im Wirtschaftsministerium in Hannover hat sich am Dienstag das erste Mal ein Lenkungskreis getroffen.
Dieser soll evaluieren, welche Bahnlinien überhaupt für eine Reaktivierung infrage kommen. 2013 waren in einem früheren Verfahren bereits 28 Strecken in die engere Auswahl gekommen. An diesem Punkt wollte der Lenkungskreis nach Informationen des NDR in Niedersachsen am Dienstag ansetzen. Kriterien für die Reaktivierung einzelner Strecken könnten zum einen die zu erwartenden Kosten sein, aber auch Prognosen dazu, wie viele Fahrgäste die Verbindungen nutzen würden. Der Lenkungskreis setzt sich aus Landtagsabgeordneten, Mitgliedern des Nahverkehrsbündnisses und Experten zusammensetzen. Ende März hatte das Landtags-Plenum aus SPD, Grünen, CDU und AfD einen Änderungsantrag der SPD, der Grünen und der CDU für ein neues Reaktivierungsprogramm von Bahnstrecken einstimmig angenommen.
Zusätzliche Bahnstrecken? Verkehrsminister Lies zuversichtlich
Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) hat zudem an die Kommunen appelliert, weitere mögliche Strecken für eine Bahnreaktivierung zu nennen. Diese sollten bis Mitte Mai an die Landesnahverkehrsgesellschaft gemeldet werden, sagte der Minister in einer am Dienstag verbreiteten Mitteilung. "Ich bin äußerst zuversichtlich, dass wir am Ende im Sinne der Mobilitätswende zusätzliche Bahnstrecken haben, die wir wieder an den Start bringen werden können", so Lies.
Verfahren aus dem Jahr 2013: Diese Bahnstrecken könnten reaktiviert werden
- Aurich - Abelitz
- Bederkesa - Bremerhaven-Speckenbüttel
- Braunschweig - Harvesse
- Bremervörde - Osterholz-Scharmbeck
- Celle - Soltau
- Celle - Beckedorf (- Munster)
- Esens - Bensersiel
- Eystrup - Syke
- Friesoythe - Cloppenburg
- Holzhausen - Bohmte
- Lüneburg - Bleckede
- Lüneburg - Soltau
- Maschen - Buchholz
- Meppen - Essen (Oldenburg)
- Norden - Dornum (- Esens)
- Nordenham-Blexen - Nordenham
- Ocholt - Sedelsberg (in Kombination mit Friesoythe - Cloppenburg)
- Rinteln - Stadthagen
- Rotenburg - Bremervörde
- Salzgitter Bad - Salzgitter-Lebenstedt - Peine
- Salzgitter-Lebenstedt - Salzgitter-Fredenberg
- Stade - Hesedorf (in Kombination mit Bremervörde - Osterholz-Scharmbeck)
- Westerstede - Ocholt
- Winsen (Luhe) - Hützel (- Soltau)
- Wunstorf - Bokeloh - Steinhude
- Zeven - Tostedt
Auch die Strecken Einbeck-Salzderhelden - Einbeck und Bad Bentheim - Neuenhaus waren ursprünglich in der Liste enthalten. Sie wurden jedoch bereits 2018 beziehungsweise 2019 reaktiviert.
Reaktivierung von Strecken: Erwartungen gehen weit auseinander
Wolfgang Konukiewitz vom Nahverkehrsbündnis Niedersachsen, hofft auf bis zu 25 Strecken, die landesweit reaktiviert werden könnten. Die ersten Strecken könnten ihm zufolge in spätestens fünf Jahren reaktiviert sein. Hans-Christian Friedrichs, Sprecher des niedersächsischen Landesverbands des Verkehrsclubs Deutschland, hält es hingegen für möglich, dass die Strecke Lüneburg - Soltau bereits in zwei Jahren fertig sein könnte. Auch die Strecke Stade - Bremen könnte schneller gehen. Der Rest würde dauern. "Wenn wir zwei, drei Strecken reaktivieren können, wäre das ein Erfolg", sagt auch Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landeskreistags. Er sei skeptisch, ob die Bahnstreckenreaktivierung das Gebot sei, um den Nahverkehr in Niedersachsen zu stärken - weil es eine teure Variante sei. Und auch Staatssekretär Frank Doods sagt, dass die Anzahl der Strecken, die schlussendlich reaktiviert werde, auch von der Wirtschaftlichkeit abhänge. "Man muss ganz nüchtern sagen: Die Investitionskosten, die am Anfang stehen, sind nur ein kleiner Teil. 90 Prozent der Kosten entstehen in der Betriebsphase."
Fahrgastverband Pro Bahn hat klare Favoriten
Für den Fahrgastverband Pro Bahn wäre die Strecke Aurich - Abelitz von besonderem Interesse. Laut Pro Bahn fahren dort seit Jahren Güterzüge des Windkraftanlagenbauers Enercon. Enercon selbst und ein Verein hätten die Strecke reaktiviert, der Zug dürfe maximal Tempo 25 fahren, so Pro Bahn. Würde die Strecke für den Personenverkehr zugelassen werden, müssten Lärmschutzwände gebaut und Bahnübergänge sicherer gemacht werden. Der Vorsitzende von Pro Bahn, Malte Diehl, schlägt deshalb vor, auf dieser Strecke den Zug als Straßenbahn fahren zu lassen. Das ginge mit einfacheren Regeln. Zwei weitere favorisierte Strecken von Pro Bahn: Nordenham-Blexen - Nordenham und Friesoythe - Cloppenburg.
Sozialverband Deutschland mahnt Tempo an
Der Sozialverband Deutschland in Niedersachsen (SoVD), der nach eigenen Angaben ebenfalls am Lenkungskreis beteiligt ist, fordert unterdessen mehr Tempo bei der Reaktivierung. Es sei in den vergangenen Jahren nichts passiert, so die Kritik. Die Menschen auf dem Land seien auf gut getaktete und barrierefreie Bahnen angewiesen, sagte Bernd Skoda, Beauftragter für Barrierefreiheit beim SoVD in Niedersachsen. Die Realität sehe aber anders aus. Das Schienennetz habe 1994 noch 44.600 Kilometer umfasst, mittlerweile seien davon nur noch 38.400 Kilometer übrig.
Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Artikel hatten wir berichtet, dass der Landtag Ende März über einen Antrag der Grünen für ein neues Reaktivierungsprogramm von Bahnstrecken abgestimmt hat. Das ist nicht korrekt. Den Antrag hatte Mitte Februar zunächst die Landesregierung aus SPD und Grünen gestellt. Ende März stimmten die Abgeordneten über einen Änderungsantrag der SPD, der Grünen und der CDU ab.