Skandal um Staatsanwalt in Hannover weitet sich aus

Stand: 23.01.2025 17:15 Uhr

Ein Staatsanwalt aus Hannover ist angeklagt, in 14 Fällen Ermittlungsinterna an eine Drogenbande weitergegeben zu haben. Nach Recherchen des NDR könnte das Ausmaß des Falles deutlich größer sein.

von Angelika Henkel, Benedikt Strunz und Mandy Sarti

Es ist eines der größten Kokain-Verfahren der europäischen Geschichte. Anfang 2021 schmuggelte die Drogenmafia 16 Tonnen Kokain in den Hamburger Hafen, für die Polizei damals ein Rekordfund. Für die Justiz in Niedersachsen ist der Fall inzwischen jedoch zu einem gewaltigen Problem geworden. Der in dem Verfahren ermittelnde Staatsanwalt sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Er soll einer Bande von Kokainschmugglern zwischen Juni 2020 und März 2021 sensible Informationen aus dem Verfahren preisgegeben haben. Hierfür hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück Yashar G. auch angeklagt. Handfeste Beweise sieht die Behörde offenbar in 14 Fällen.

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Fall könnte eine wesentlich größere Dimension haben

Doch offenbar gehen die Ermittlerinnen und Ermittler derzeit davon aus, dass der Fall Yashar G. eine wesentlich größere Dimension hat, als bislang angenommen. Das geht aus der Anklageschrift hervor, die der NDR einsehen konnte. Demnach soll G. nicht nur der Kokainbande aus Hannover Ermittlungsinformationen preisgegeben haben. Laut Anklageschrift soll G. auch anderen kriminellen Gruppen sensible Informationen weitergereicht haben. Die Ermittlerinnen und Ermittler gehen offenbar davon aus, dass G. hierbei mit seinem Schwager - einem verurteilten Drogenhändler - und mit einem Mitglied der Hells Angels zusammengearbeitet haben könnte. Demnach könnten zahlreiche Kriminelle in Niedersachsen bereits seit 2019 mit sensiblen Informationen aus Polizei und Justiz versorgt worden sein.

Gab es drei Mittelsmänner?

Neben Yashar G. ist seit Anfang der Woche ein weiterer Mittelsmann angeklagt. Der Betreiber eines Sportclubs aus Hannover, ein offenbar langjähriger Freund des Juristen, soll die Kontakte zu der Drogenbande hergestellt haben, die die 16 Tonnen Kokain in den Hamburger Hafen geschmuggelt haben soll. Außerdem soll der Sportclub-Betreiber Zahlungen der Bande an den Staatsanwalt übergeben haben. Der Jurist soll für den Informationsfluss ins Drogenmilieu mindestens 60.000 Euro von der Bande bekommen haben. Das Netzwerk reicht jedoch offenbar noch weiter: Nach NDR Informationen gibt es für die Ermittlerinnen und Ermittler Hinweise auf mindestens zwei weitere Mittelsmänner. Unter anderem steht auch Aschkan A. - der Schwager des beschuldigten Staatsanwalts - im Fokus.

Welche Rolle spielte der Schwager des Staatsanwalts?

Bis zu seiner Verurteilung wegen Drogenhandels 2021 soll Aschkan A. nach NDR Recherchen Ermittlungsinterna abgegriffen haben. Er soll so seinen Stand in der Szene verbessert und sich Freunde gemacht haben. Und das offenbar schon seit 2019. Laut Anklage sei es im Milieu bekannt gewesen, dass Aschkan A. über seinen Schwager, den Staatsanwalt, an brisante Informationen wie Haftbefehle, Eintragungen im polizeilichen Führungszeugnis und Ermittlungsstände gekommen sein soll. Für die Informationen habe man 3.000 Euro zahlen müssen, berichteten Insider den Ermittlerinnen und Ermittlern. Für diese Taten fehlen derzeit aber offenbar konkrete Beweise. Eine Anklage gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben. Für eine kurzfristige Anfrage war der Anwalt von Aschkan A. nicht erreichbar.

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Staatsanwalt durfte weiter ermitteln

Den Recherchen zufolge hat der beschuldigte Staatsanwalt seine Vorgesetzte nach der Festnahme des Schwagers 2020 über seine familiäre Verbindung informiert. Das niedersächsische Justizministerium teilte auf Anfrage des NDR Mitte Januar mit: "Nach Bericht der Staatsanwaltschaft Hannover hat die zuständliche Hauptabteilungsleiterin die Mitteilung des beschuldigten Staatsanwalts über die Festnahme seines Schwagers nicht an die Behördenleitung weitergegeben." Der damalige stellvertretende Behördenleiter soll nach eigenen Erinnerungen erst Ende 2022 von der familiären Verbindung erfahren haben. Personelle Konsequenzen seien aber erst Anfang 2024 erfolgt, teilte das Justizministerium mit. Erst da wurde der beschuldigte Staatsanwalt wegen "seiner familiären/persönlichen Kontakte zu Personen" aus dem Drogenmilieu und in eine andere Abteilung versetzt.

Spuren führen zu Hells Angels

Die Ermittlerinnen und Ermittler kommen laut Anklage offenbar zu dem Schluss, dass der beschuldigte Staatsanwalt Yashar G. ein freundschaftlich enges Verhältnis zu einem Vollmitglied der Hells Angels gepflegt haben könnte. Offenbar gibt es Hinweise darauf, dass so auch über einen weiteren Sportclub, der der Rockergruppe zugeordnet wird, Ermittlungsinterna abgeflossen sein sollen. Konkrete Beweise gibt es aber auch hierfür offenbar bislang nicht. Allerdings sollen Chatnachrichten und Zeugenaussagen den Verdacht stützen, dass Yashar G. enge Kontakte zu Hells Angels-Mitgliedern gepflegt haben soll.

Der Staatsanwalt schweigt

Eine Sprecherin des Justizministeriums sagte dem NDR, der Staatsanwalt habe sich im Ermittlungsverfahren nicht zu den Vorwürfen geäußert. Zu den konkreten Vorwürfen wollte sich das Ministerium aus ermittlungstaktischen Gründen nicht zu dem Vorgang äußern. Sein Anwalt machte gegenüber dem NDR auf Anfrage deutlich: "Mein Mandant bestreitet die ihm von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegten Tatvorwürfe." Für die Klärung der Vorwürfe sei der gesetzlich vorgesehene Ort die Hauptverhandlung und nicht die Medienberichterstattung, betonte er und wollte sich weiter nicht äußern. Nun muss das Landgericht Hannover entscheiden, ob das Hauptverfahren gegen den beschuldigten Staatsanwalt eröffnet wird.

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 23.01.2025 | 19:30 Uhr

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