Sicherungsverwahrung für Jugendliche: Ist das möglich?
In Hannover ist ein Jugendlicher wegen Mordes verurteilt worden. Der jetzt 15-Jährige hat im Alter von 14 Jahren in Wunstorf einen Gleichaltrigen getötet. Kommt für einen so jungen Täter eine Sicherungsverwahrung infrage?
Während des Prozesses hat die Öffentlichkeit keine wesentlichen Informationen aus dem Gerichtssaal erfahren. Aus gutem Grund: Natürlich haben auch Beschuldigte, Angeklagte und Verurteilte Rechte - und in diesem Fall kam die besondere Schutzbedürftigkeit des noch jugendlichen Angeklagten hinzu. Dennoch droht auch einem 15-Jährigen bei einer Verurteilung wegen Mordes eine lange Haftstrafe: Bis zu zehn Jahre kann diese betragen - und das ist in diesem Fall geschehen. Das Gericht hat die Höchststrafe gegen den Täter verhängt. Bei Erwachsenen kann in besonders schweren Fällen eine Sicherungsverwahrung hinzukommen - ob sie auch für den 15-Jährigen angeordnet wird, steht noch nicht fest. Das Gericht hat sich dies vorbehalten, aber noch nicht darüber entschieden.
Sicherungsverwahrung für Jugendliche? Möglich, aber äußerst selten
Sicherungsverwahrung für Jugendliche: Diese Möglichkeit besteht tatsächlich, wird aber nach Auskunft von Strafrechtlern äußerst selten angewandt. Auch die verfügbaren Statistiken zeigen, dass das "scharfe Schwert" der Justiz kaum angewandt wird. Zwischen 2017 und 2022 wurde gegen Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren oder auch gegen Heranwachsende bis 21 Jahre kein einziges Mal eine Sicherungsverwahrung verhängt. Denn Jugendliche begehen eben auch äußerst selten schwere Kapitalverbrechen wie Mord. Insofern werden auch selten Höchststrafen von deutschen Strafgerichten gegen jugendliche Täter ausgesprochen, und die Sicherungsverwahrung geht schließlich noch einen Schritt weiter. So sehen denn auch deutsche Strafrechtler die Sicherungsverwahrung für junge Menschen skeptisch bis ablehnend.
Bundesrat: Sicherungsverwahrung für Jugendliche ist Ultima Ratio
Zwar soll die Anordnung der Sicherungsverwahrung laut des entsprechenden Gesetzes den nach Jugendstrafrecht verurteilten Tätern nicht wie im allgemeinen Strafrecht bereits im Strafurteil erfolgen können. "Wegen der noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen und der Aussicht einer positiven Einwirkung im Vollzug der Jugendstrafe soll sie lediglich als ultima ratio in Betracht kommen", hieß es in einer Mitteilung im Jahr 2008, als das Gesetz verschärft wurde. Dennoch stehen Experten allein der Möglichkeit einer Sicherungsverwahrung skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Verschärfung des Gesetzes wegen Sexualmörder Daniel I.
So sagte der Psychiater und Gutachter Norbert Leygraf einmal dem Spiegel: "Aus dem Verhalten in der Haft auf die spätere Gefährlichkeit zu schließen" sei "absurd". Er bezog sich auf den Fall des verurteilten Sexualmörders Daniel I., dessen Tat die Politik damals auf Betreiben Bayerns zum Anlass für die Verschärfung des Jugendstrafrechts genommen hatte. So begründete der Bundesrat die Verabschiedung folgendermaßen: "Nach den vorgelegten Unterlagen - insbesondere einem forensisch-psychiatrischen Gutachten - sei davon auszugehen, dass der Betroffene weiterhin ein erhebliches Risiko für die Menschen in seiner Umgebung darstellen dürfte."
Kriterien für Sicherungsverwahrung
Auch in Niedersachsen wird das Thema "Sicherungsverwahrung für Jugendliche" schon lange diskutiert. Schon vor Jahren hat das SPD-geführte Justizministerium die Verhängung einer Sicherungsverwahrung an enge Kriterien geknüpft:
- Schwerste Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung sowie Raub- oder Erpressungsverbrechen mit Todesfolge,
- wenn deswegen eine Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verhängt wurde und
- die Tat mit einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung oder Gefährdung des Opfers verbunden war und
- das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten die Gefährlichkeit des Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft annimmt.
"Gefahr für künftige Straftaten lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen"
Strafrechtler Alexander Baur sagt, dass es zwar Fortschritte in der sogenannten Legalprognostik gebe. Dennoch lasse sich unabhängig vom Alter nach wie vor nicht mit Sicherheit feststellen, ob ein Mensch in Zukunft schwere Straftaten begehen wird - und bei der Sicherungsverwahrung geht es ja genau um deren Verhinderung. "Es gibt schon auch viele 'Falsch-Positive', die wir grundsätzlich unbefristet in der Sicherungsverwahrung unterbringen", sagt der Professor am Institut für Kriminalwissenschaften der Uni Göttingen dem NDR Niedersachsen. Dafür gebe es Hinweise. Bei jungen Straftätern verschärfe sich diese Prognoseproblematik: In jungen Menschen stecke eben noch so viel Entwicklungsmöglichkeit, so Baur.
"Das Jugendstrafrecht basiert auf dem Erziehungsgedanken"
Jörg Kinzig vom Institut für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht der Uni Tübingen ist ebenfalls skeptisch, wenn es um die Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende geht. "Zentrales Argument ist die Schwierigkeit, bei solch jungen Leuten eine zuverlässige Prognose zu stellen", sagt der Institutsdirektor auf Anfrage des NDR Niedersachsen. Außerdem basiere das Jugendstrafrecht auf dem Erziehungsgedanken. "Wir gehen davon aus, dass Jugendliche und Heranwachsende erziehungsfähig sind und nicht einfach nach einer Jugendstrafe weggeschlossen werden sollten." Er merkt außerdem an, dass das Jugendstrafrecht Jahrzehnte ohne die Sicherungsverwahrung ausgekommen sei. Auch habe sich die schwere Jugendkriminalität in den vergangenen Jahren nicht erhöht.
Scharfe Kritik des Richterbundes an Gutachtern
Die Frage nach der Prognosemöglichkeit und -genauigkeit ist also zentral. Das betont auch der Deutsche Richterbund (DRB), wenn er zunächst nüchtern feststellt, dass sich die Justiz der vorhandenen psychiatrischen Sachverständigen zu bedienen habe. Und er schreibt auch, dass man nicht selten zu der Erkenntnis gelangen müsse, dass deren "Kenntnisse für forensisch relevante Fragestellungen den obergerichtlichen Anforderungen an die Qualität von Prognosegutachten nur schwerlich standhalten" - mehr Kritik geht kaum. Denn gerade die besondere Problematik künftiger Prognosebegutachtungen von zur Tatzeit Jugendlichen oder Heranwachsenden mache besondere Kenntnisse und somit auch Anstrengungen bei der Aus- und Fortbildung der Sachverständigen erforderlich - denn die Straftäter hätten schließlich bereits eine langjährige Jugendstrafe verbüßt und somit aufgrund ihres Alters einen wesentlichen Teil ihres Erwachsenwerdens unter Haftbedingungen verbracht.
Richterbund: Bei 15 statt 10 Jahren Haft tritt Erziehungsgedanke hinter Schuldausgleich zurück
Der DRB blickt noch mit einem weiteren Aspekt kritisch auf verschärfte Strafen für Jugendliche: Bei einer Jugendstrafe von mehr als zehn Jahren trete der maßgebliche Strafzweck des Jugendrechts, der Erziehungsgedanke, gänzlich hinter dem Aspekt des Schuldausgleichs zurück, heißt es in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2012 zum Entwurf eines Gesetzes, das eine Heraufsetzung des Höchstmaßes der Jugendstrafe für Heranwachsende bei Mord zum Inhalt hatte. Zwar diene ein angemessener Schuldausgleich nicht zuletzt der Genugtuung der Tatopfer und ihrer Hinterbliebenen. "Fraglich scheint aber, ob die Hinterbliebenen bei einer Ahndung mit Jugendstrafe von 15 Jahren deutlich mehr Genugtuung empfinden würden als sie dies bei einer Sanktion von (nur) 10 Jahren tun", heißt es weiter.
Angehörige des Opfers hoffen auf Wandel beim Angeklagten
Und auch im aktuellen Fall, der in Hannover verhandelt wird, heißt es, dass die Eltern des getöteten Jungen keinen konkreten Wunsch nach einer bestimmten Strafe hätten. Sie hätten aber die große Hoffnung, dass im möglichen Strafvollzug ein Wandel beim Angeklagten einsetze und "sich solche Dinge nicht wiederholen werden", sagte ihr Anwalt Steffen Hörning. Doch zunächst bleibt das Urteil abzuwarten. Bis dahin gilt wie eh und je: Es gilt die Unschuldsvermutung.