Hämmern, kratzen, treten: "Crash-Day" für Versicherungsleute
Die Windschutzscheibe mit dem Hammer zertrümmern, Dachziegel aufs Autodach werfen oder Beulen in die Tür treten: Was nach Vandalismus klingt, ist bei der VHV Versicherung in Hannover ein offizielles Trainingsprogramm.
Drei Mal muss Torben Lauß kräftig mit dem Hammer ausholen. Dann zerspringt die hintere Seitenscheibe des silbernen Kleinwagens in Tausende Scherben. Nur wenige Splitter hängen noch in der Gummidichtung. Deutlich leichter hat es sein Kollege Alhareth Issa. Eine schnelle Bewegung mit dem Schraubendreher und schon hat er die vordere Seitenscheibe des Wagens ausgehebelt. Die Scherben regnen klirrend in den Innenraum.
Beulen fühlen statt Gutachten lesen
Dass Lauß und Issa Autos aufbrechen, gehört eigentlich nicht zu ihrem Job. Die beiden sind Kfz-Sachbearbeiter bei der VHV Versicherung in Hannover. Normalerweise bearbeiten sie die Schadensfälle ihrer Kunden am Computer, sehen sich Gutachten am Bildschirm an und lesen schriftliche Berichte über zerborstene Scheiben, Kratzer und Beulen. An dem silbernen Auto können sie zum ersten Mal unter realen Bedingungen austesten, wie Einbruchspuren aussehen, wie sich Hagelschäden anfühlen und wie laut ein Auffahrunfall tatsächlich klingt. "Crash Day" nennt das das Versicherungsunternehmen VHV.
"Crash Day" für besseres Verständnis
Der Trainingstag soll den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, die Schilderungen der Kunden über Schäden besser zu verstehen, sagt VHV-Vorstandsmitglied Ulf Bretz. "Wenn man weiß, wie viel Kraft man braucht, um eine Autoscheibe einzuschlagen, dann kann man nachvollziehen: Kann das durch Zufall passiert sein oder ist das doch mutwillig passiert." Die Versicherung bearbeitet nach eigenen Angaben rund 450.000 Kfz-Schadenfälle pro Jahr. Zwar sorgten Fahrerassistenz-Systeme und Einparkhilfen grundsätzlich dafür, dass die Schadenfälle leicht zurückgehen, so Bretz. Aktuell bewege man sich aber wieder in etwa auf dem Niveau der Zeit vor Corona.
Zertrümmern fürs Fingerspitzengefühl
Die Gruppe aus Sachbearbeitern und Auszubildenden hat sichtlich Spaß an der Praxisübung: Ein Azubi schlägt mit einem Besenstiel aufs Autodach, um einen herabfallenden Ast im Herbststurm zu simulieren. Eine Kollegin tritt mit voller Wucht in die Hintertür des Wagens und inspiziert danach die Beulen. Andere kratzen mit Steinen und Schlüsseln auf der Motorhaube herum. Trainer Ronald Brozio wünscht sich, dass das VHV-Team mit offenen Augen an die Arbeit geht: "Was sie mitnehmen sollten, ist, dass sie ein besonderes Fingerspitzengefühl bekommen für Schäden, die sie sonst leider nur zweidimensional auf Bildern sehen." Normalerweise sei Versicherung etwas sehr Theoretisches, ergänzt VHV-Vorstand Bretz. Beim "Crash Day" legal ein Auto zu zerdeppern, dürfe dann auch einfach mal Spaß machen.