Stand: 19.07.2012 08:25 Uhr

"Ampelmord": Tumulte nach Urteilsverkündung

Nach der Urteilsverkündung im "Ampelmord-Prozess" ist es im Landgericht Hildesheim zu tumultartigen Szenen gekommen: Angehörige des Verurteilen beschimpften Justizbeamte, Frauen warfen sich auf den Boden, Stühle flogen durch den Flur. Verletzt wurde niemand, Justizbeamte konnten die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Eine Gerichtssprecherin kündigte an, dass die Störer mit einem Bußgeld rechnen müssen. Außerdem laufen gegen einige Zeugen Verfahren wegen Falschaussagen.

"Die Kammer ist sich sicher"

Zuvor erging das Urteil gegen einen 38-jährigen Mann aus Sarstedt: "Die Kammer ist sich sicher, dass der Angeklagte die Tat begangen hat", sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Pohl vom Landgericht. Der 38-Jährige ist am Mittwoch von dem Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Der Mann aus Sarstedt (Landkreis Hildesheim) hat nach Überzeugung des Gerichtes zusammen mit einem Komplizen am Neujahrstag an einer roten Ampel den Liebhaber seiner Frau erschossen.

Angeblich kommt ganze Familie des Angeklagten als Mörder infrage

Der Verteidiger hatte vergangene Woche noch auf Freispruch plädiert. Es gebe keine Beweise dafür, dass sein Mandant die Schüsse auf den 35-jährigen Syrer abgegeben habe. Der Staatsanwalt forderte hingegen eine lebenslange Haftstrafe. Ein weiterer Verteidiger hatte in seinem Plädoyer hervorgehoben, dass ein Mitglied der Großfamilie seines Mandanten ausgesagt habe, sogar die Kinder hätten den 35-Jährigen töten wollen, weil er die Familienehre verletzt habe. Somit kämen seiner Ansicht nach alle Mitglieder der Familie mit libanesischen Wurzeln als Täter infrage. Der Bruder der Ehefrau wird als Mittäter verdächtigt. Er ist zurzeit noch auf der Flucht.

Ehrenmord - Ein problematischer Begriff

Ehrenmord - bei diesem Begriff denken die meisten zuerst an weibliche Opfer. Doch weit gefehlt: Eine Studie im Auftrag des Bundeskriminalamtes belegt, dass 43 Prozent der Opfer Männer sind. Untersucht wurden dabei 109 Tötungsdelikte dieser Art. Den Ehrenmord charakterisiere, dass er von der Familie gebilligt werde und oft sogar mehrere Mitglieder einer Familie involviert seien, erklärte Dietrich Oberwittler, Kriminologe am Max-Planck-Institut für Strafrecht.

Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes sieht in Ehrenmorden keine religiösen Taten, sondern vielmehr "patriarchalische Exzesse". Frauen müssten sterben, weil sie aus Sicht der Familie traditionelle Normen verletzt haben - etwa, weil sie kein Kopftuch tragen, sich scheiden lassen oder einen westlich orientierten Lebensstil pflegen. Die Verwandten werden zu "Wächtern der Sittlichkeit", heißt es von Terre des Femmes.

"Der Presserat hält die Verwendung des Begriffs 'Ehrenmord' für problematisch und hat hierzu schon Beschwerdefälle gehabt", sagte Edda Kremer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Presserat, NDR.de. Und weiter: "Eine nähere Erläuterung und eine Distanz schaffende Einordnung des euphemistischen Begriffs - beispielsweise durch das Setzen in Anführungszeichen oder der Formulierung 'sogenannter Ehrenmord' - ist zu empfehlen, um sich den Begriff nicht zu eigen zu machen."

Staatsanwalt hat lebenslange Haft gefordert

Die Staatsanwaltschaft hatte sich am vergangenen Mittwoch in ihrem Plädoyer für eine lebenslange Haftstrafe ausgesprochen. Darüber hinaus beantragte sie, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Dies würde für den 38-Jährigen bedeuten, dass er auch nach 15 Jahren nicht aus dem Gefängnis entlassen werden könnte.

"Eine regelrechte Menschenjagd"

Staatsanwalt Wolfgang Scholz sprach in seinem Plädoyer von einem "heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen". Es sei eine regelrechte Menschenjagd auf das Opfer gewesen. Der Angeklagte und sein Komplize hätten dem 35-Jährigen aufgelauert. Als der Syrer mit seinem Auto vor einer roten Ampel hielt, sollen sie mit Pistolen durch das Seitenfenster gefeuert haben. Dabei wurde er von neun Kugeln getroffen. Im Prozess hatte der Angeklagte bis zuletzt geschwiegen. Doch die Indizien wie Schmauchspuren, die Funkzellenauswertung von Mobiltelefonen und Zeugenaussagen überzeugten die Staatsanwaltschaft von der Täterschaft des Mannes - und letztendlich auch das Gericht.

Weitere Informationen
Die Leiche eines erschossenen Mannes liegt neben einem Fahrzeug in Sarstedt. © dpa Foto: Christian Elsner

Schwester belastet Familie des Angeklagten

Im Prozess um den Mord an einem Syrer in Sarstedt hat die Schwester des Opfers ausgesagt. Sie beschuldigte die Familie des Angeklagten, die Tötung ihres Bruders beschlossen zu haben. mehr

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