Pflanzen-Kläranlage im Einsatz gegen verseuchtes Wasser
Auf dem Gelände einer ehemaligen Sprengstoff-Fabrik in Clausthal-Zellerfeld filtert eine neue Pflanzen-Kläranlage Schadstoffe aus Sickerwasser. Anlagen dieser Art können auch Antibiotika aus Wasser filtern.
Pflanzenschutzmittel, Mikroplastik, Schwermetalle, Antibiotika - was in den Boden gelangt, kommt leicht ins Grundwasser. Kläranlagen sollen dabei helfen, das Wasser so gut wie möglich wieder zu reinigen. In Clausthal-Zellerfeld im Oberharz hat jetzt eine in ihrer Dimension wohl europaweit einzigartige Kläranlage - genauer: Pflanzen-Kläranlage - ihre Arbeit aufgenommen, auf dem Gelände des ehemaligen "Werk Tanne". Dort wurde während des 2. Weltkriegs massenhaft Sprengstoff produziert. Das "Werk Tanne" gehörte zu den fünf größten Rüstungsproduktionsstätten während des Zweiten Weltkriegs. Mehr als 100.000 Tonnen des Sprengstoffs TNT wurden hier produziert. Mehrfach kam es auf dem Gelände zu Explosionen; zahlreiche Zwangsarbeiter verloren dabei ihr Leben. Zudem gelangte verseuchtes Abwasser ins Erdreich und in die nahe gelegenen Teiche. Noch heute ist das Gelände belastet. Doch die neue Anlage gibt Anlass zur Hoffnung.
28.000 Schilfgewächse sollen das Wasser reinigen
Das Herzstück der Anlage ist auf den ersten Blick einfach nur ein großes, mit Wasser gefülltes Becken - umgeben von Ruinen, in denen die Nationalsozialisten früher und unter unmenschlichen Bedingungen von russischen Zwangsarbeitern Sprengstoff produzieren ließen. Erst auf den zweiten Blick sind die 28.000 frisch gepflanzten Schilfgewächse, die das kontaminierte Wasser reinigen sollen, am Boden des Beckens zu erkennen. Wie das geht, erklärt Michael Riesen, Leiter der Unteren Bodenschutzbehörde im Kreis Goslar: "So eine Anlage muss ja auch erstmal anfahren. Die Schilfpflanzen sind noch relativ kurz und müssen mindestens eine Höhe von 1,50 Meter erreichen, damit sie dann entsprechend ihre Wirkung erzielen. Und die sprengstofftypischen Stoffe setzen sich an den Wurzeln und am Boden ab."
Umweltschützer loben Anlage
Sprengstofftypische Verbindungen - im Falle des "Werk Tanne" sind das vor allem hochtoxische Stoffe, die bei der Produktion von TNT anfielen und die auch 75 Jahre nach Kriegsende immer noch den Boden und damit auch das Trinkwasser belasten. Umweltschützer halten viel von der neuen Anlage. Sie hatten jahrzehntelang für eine Sanierung des Werksgeländes gekämpft, unter ihnen Friedhart Knolle vom BUND: "Das Regenwasser, das hier abläuft, ist belastet und setzt den Teichen nebenan zu. Die Behörden stoppen nun dieses Wasser und reinigen es so gut es geht. Die Kollegen haben intensive Vorarbeit geleistet und ich bin mir relativ sicher, dass das hier ein Erfolg wird." Die herkömmliche Kläranlage auf dem Werksgelände hätte diese Menge an Schadstoffen nicht bewältigen können.
98 Prozent der Schadstoffe werden herausgefiltert
Nach Angabe der Experten soll die Pflanzen-Kläranlage bis zu 98 Prozent der sprengstofftypischen Verbindungen herausfiltern können. "Wir sind überzeugt, dass wir in dieser einjährigen Probezeit die Zielwerte erreichen werden", sagt Riesen. Regelmäßig werden Wasserproben entnommen und auf Schadstoffe überprüft. Sollte das Wasser rein sein, wird es in die nahen Pfauenteiche geleitet. Sie gehören zum Oberharzer Wasserregal und damit auch zum Trinkwassersystem der Harzwasserwerke. Sollte das Wasser nach wie vor belastet sein, dann wird es noch einmal auf herkömmlichem Wege gereinigt - in einer Sickerwasserreinigungsanlage mit einem Aktivkohlefilter. Die aber soll über kurz oder lang überflüssig werden, weil sie wartungs- und stromintensiv und außerdem für das 117 Hektar große Gelände viel zu klein ist.
Anlage bietet viele Einsatzmöglichkeiten
Pflanzen-Kläranlagen haben auch noch andere Vorteile, weiß Felix Gruber, Abteilungsleiter für Umwelttechnik bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt: "Sie brauchen keinen elektrischen Strom, weil sie ja im Prinzip aus Anbau-Biomasse bestehen. Dadurch ergibt sich ein geringerer Reinigungsaufwand, sie sind weniger störanfällig. Und was auch wichtig ist: Sie haben ein sehr gutes Puffervermögen, was bedeutet, dass größere Abwassermengen abgepuffert werden und nicht zum Überschwemmen der Anlagen führen." Die Stiftung mit Sitz in Osnabrück fördert seit Jahrzehnten Projekte, in denen mit naturnahen Pflanzen-Kläranlagen neue Wege erprobt werden sollen. Darunter: eine Anlage für WCs auf Rastplätzen, eine Anlage für ein abgelegenes Kinderdorf in Russland oder aktuell für einen Bio-Milchvieh-Betrieb im sächsischen Nossen. Bislang wird dort das Molkerei-Abwasser in den Güllespeicher geleitet und später auf den Feldern ausgebracht. Doch zu viel Gülle auf dem Acker belastet das Grundwasser mit Nitrat. Auch hier steht die Pflanzen-Kläranlage vor besonderen Schwierigkeiten. Denn die Abwässer seien mit relativ hoher organischer Kohlenstoff-Fracht versehen: "Für die Bakterien in der Anlage gibt es viel zu tun, deshalb muss man viel Sauerstoff zufügen. Wenn man das nicht tut, gäbe es ein Ungleichgewicht - und das gilt es zu vermeiden."
Zweite Anlage könnte nach Probebetrieb kommen
Nach Angaben des Landkreises ist es die größte Pflanzen-Kläranlage für sprengstofftypische Verbindungen in Europa. Aber: Es dürfte nicht die einzige bleiben. Sollte der Probebetrieb am "Werk Tanne" erfolgreich laufen, dann soll neben der jetzigen Anlage eine weitere gebaut werden. Die Kosten in Höhe von bisher 4,5 Millionen Euro würden sich dann mehr als verdoppeln. Doch trotz aller Euphorie - eines werde das Gelände des "Werk Tanne" immer bleiben, sagt Riesen von der Unteren Bodenschutzbehörde: eine Rüstungsaltlast. "Das Gelände wird nie endgültig saniert sein. Aber die große Gefahr, dass sprengstofftypische Gefahrstoffe in Richtung Innerste gehen, die haben wir dann ausgeschlossen."
Auch im Einsatz gegen Antibiotika im Wasser
Gernot Kayser lehrt Umwelttechnologie an der TU Dresden und forscht an Pflanzen-Kläranlagen, die auch Antibiotika filtern können. Weltweit nehmen Menschen in entwickelten Regionen etwa eine Tagesdosis Schmerzmittel pro Jahr zu sich. Ein besonders schädlicher Effekt für den Menschen konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die Umweltrelevanz sei aber völlig klar, erklärt Kayser: "Empfindliche Organismen werden auf jeden Fall beeinträchtigt. Das lässt sich nachweisen und das wirkt sich auf das gesamte Ökosystem aus." Der große Vorteil von Pflanzen-Kläranlagen sei, "dass sie extrem stabil und wenig wartungsintensiv sind". Sie bräuchten zwar mehr Raum als andere Kläranlagen - aber in nicht so dicht besiedelten Regionen und in Schwellenländern wie in Indien oder Indonesien konnten sie schon erfolgreich als dezentrale Abwasserreinigung zum Einsatz kommen.