Klimaprotest in Göttingen: Lehrer kritisieren Aula-Besetzung
Schülerinnen und Schüler besetzen die Aula des Felix-Klein-Gymnasiums in Göttingen und fordern mehr Klimaschutz. Ihre Lehrerinnen und Lehrer sind auch dafür, kritisieren aber die Form des Protests.
In der besetzten Aula des Felix-Klein-Gymnasiums in Göttingen stehen die Türen zum Flur weit offen. Drinnen haben sich die Aktivistinnen und Aktivisten von End Fossil: Occupy! wohnlich eingerichtet: Sofas auf der Bühne und Matratzen für die Nacht in der hinteren Ecke. Überall hängen Banner mit Sprüchen wie "ÖPNV statt SUV" oder "Alle Krisen haben System".
Einigkeit bei der sozialen Frage
Laurids, einer der Besetzer, diskutiert mit seinem Lehrer Dr. Goldmann die Ziele von End Fossil. Der Politik- und Geschichtslehrer kritisiert, dass die Aktivistinnen und Aktivisten immer nur fordern würden, dass der Braunkohle-Abbau bei Lützerath (Nordrhein-Westfalen) gestoppt werde solle. Laurids erwidert, dass sei wichtig, weil "da das 1,5 Grad Ziel für Deutschland verteidigt wird, was in Deutschland eigentlich nie jemand einhalten wollte". Goldmann schüttelt den Kopf: "Das ist zu hart. Es gehört ja zu euch, dass ihr dagegen protestiert, aber mich stört, wie ihr komplexe Zusammenhänge so stark reduziert." Danach zählt er auf, dass deutsche Emissionen auch im Ausland entstünden, wenn in China produziert werde. Außerdem müssten die Aktivisten beachten, dass arme Menschen sich keine nachhaltig produzierte Kleidung leisten könnten. Die müssten für den Klimaschutz entlastet werden. In jedem Punkt stimmt Laurids ihm zu. Auch sie von End Fossil würden darüber nachdenken. Die beiden sind sich dann doch schnell einig, sie wollen sozialen Klimaschutz.
Lehrer glaubt nicht an Besetzung als Lösung
Bleibt noch die Frage, wie der erreicht wird? Laurids besetzt dafür die Aula seiner Schule und versichert seinem Lehrer: "Wir sind Demokraten." "Die Aktion hat aber eine Prise Autoritäres", kontert Goldmann. Er glaubt nicht, dass Besetzungen eine schnelle Lösung gegen den Klimawandel seien. Politik brauche nun einmal lange. Hinter Laurids und Goldmann hängt dabei ein Banner der Aktivisten. Darauf steht nur "Verzweiflung".
Schulleiter entscheidet sich gegen Konfrontation
Schulbesetzungen sind Hausfriedensbruch. Das wissen die Aktivisten. Das weiß auch Schulleiter Michael Brüggemann und rief - als die Besetzung am Montag begann - die Polizei. Die kam, griff dann aber doch nicht ein. Brüggemann und die Stadt entschieden: "Natürlich ist die Schulbesetzung illegal, aber wir wollen die Schüler nicht anzeigen!" Sie dulden die Aktivisten in der Aula. Wie überzeugt Brüggemann von seiner eigenen Entscheidung ist, bleibt offen. Er betont immerhin auch: "Joschka Fischer hat mal gesagt: 'Legal, illegal, scheißegal'. Das ist auf jeden Fall nicht meine Meinung." Trotzdem hat er sich für Kooperation statt Konfrontation entschieden. Ein Besetzer geht im Flur auf ihn zu und fragt, ob er später eine Ankündigung über die Lautsprecher der Schule machen dürfe. Er darf.
Der "Traum ist aus" als Weckmelodie
Brüggemann bemüht sich, mit seinen Schülern auf Augenhöhe zu sprechen: "Ich bin ein alter weißer Mann, aber das, was dahinter steht, möchte ich nicht sein." Er selbst habe als junger Mann auch protestiert, damals gegen das AKW in Brokdorf. Jetzt ist er Schulleiter und trägt die Verantwortung für den Schulbetrieb. Ein Zwiespalt, den er mit Humor nimmt. Er lacht wie ein Schelm als er erzählt, dass er die Besetzer am Morgen mit "Der Traum ist aus" von der linken Band Ton Steine Scherben geweckt habe. Später ertönt in der ganzen Schule eine Einladung der Besetzer in die Aula. Sie wollen sich um halb zwölf vorstellen.
Besetzer von End Fossil fordern Schuldenerlass für Länder im globalen Süden
Um 11.30 Uhr hätte Lehrer Goldmann eigentlich Geschichte unterrichtet. Stattdessen besucht er mit seinen Schülerinnen und Schülern den Vortrag von End Fossil. Die Aula ist voll. Auch junge Schülerinnen und Schüler sind da. Auf der Bühne sitzen vier Besetzerinnen auf einem Sofa. Sie fordern, Ländern im globalen Süden die Schulden zu erlassen, den Kohleausstieg, dass Vermögen fairer verteilt werden, keine Profite mit Energie gemacht werden dürfen, mehr Schulunterricht zur Klimakrise und dass der öffentliche Nahverkehr langfristig kostenlos wird. Die Schülerinnen und Schüler im Publikum klatschen hin und wieder. Es gibt auch kritische Fragen. Durch ein Megafon fragt ein junger Schüler, wie Busfahrer bezahlt werden sollen, wenn niemand mehr Tickets für den Bus kaufen muss. Von der Bühne gibt es eine kurze Antwort: "Das bezahlt dann der Bund." Die meisten klatschen, auch einige Lehrer.
Lehrer erkennt Belastung der Generation an
Einen richtigen Konflikt zwischen den Lehrern und den Schülern gibt es am Felix-Klein-Gymnasium nicht. Das wird zwischen Laurids und seinem Lehrer Goldmann klar. Der sieht auch: "Es lastet viel auf eurer Generation, weil das Wohlstandsmodell gefährdet ist." Laurids erkennt an, dass er etwas von der Lebenserfahrung seines Lehrers lernen kann. Ihre Klamotten haben sogar etwas gemeinsam. Goldman trägt einen nachhaltig produzierten grauen Pullover. Der von Laurids ist zwar blau, aber auch nachhaltig, weil er den gebraucht gekauft hat. Anders, und doch steckt die gleiche Idee dahinter.
Besetzer wollen Aula am Donnerstag verlassen
Über Gemeinsamkeiten lässt sich nicht streiten. Deswegen wird an der Schule auch weniger über die Inhalte als über die Form des Protests geredet. Nur darüber können die Besetzer mit ihren Lehrern kontrovers diskutieren. Schulleiter Brüggemann meint: "Wir bekommen große Probleme, wenn es nicht mehr danach geht, was legal ist, sondern wenn jeder selbst danach entscheidet, was legitim sei. Der Rechtsstaat ist schützenswert." Die Schulbesetzer von "End Fossil: Occupy!" finden ihren Protest legitim. Sie verweisen auf die besondere Situation, in der sie sind: "Für welche Zukunft lernen wir überhaupt, wenn sowieso alles mit der Klimakrise untergehen wird." Am Donnerstag wollen sie die Aula wieder verlassen. Dann sind erst mal Ferien.