Gäste statt Gefangene: Ex-Knast soll Hostel werden
Das Waageplatzviertel in Göttingen: Die zentrale Shoppingmeile ist nur ein paar Schritte entfernt. Hier saßen bis vor zehn Jahren noch verurteilte Straftäter ein. Mit dem Neubau der JVA in Rosdorf - am Rande der Stadt - endete 2007 die Historie des Innenstadt-Knastes. Seitdem steht das Gebäude leer. Die Stadt hat es damals dem Land Niedersachsen für rund 50.000 Euro abgekauft - daran geknüpft die Bedingung, dass die künftige Nutzung gemeinwohlorientiert und nicht ausschließlich gewerblich erfolgen müsse. Mittlerweile ist der Ex-Knast in einem sanierungsbedürftigen Zustand und für viele private Investoren daher unrentabel, wie Peter Rossel sagt. Er ist Experte für EU-Projekte und hat im Auftrag der Stadt gemeinsam mit Dietmar Linne, Vorstand der Beschäftigungsförderung Göttingen, ein Konzept für eine moderne Jugendherberge in der ehemaligen JVA entworfen - mit bis zu 120 Betten und dem Ziel, Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose aus dem Quartier zu beschäftigen.
Hostel soll das ganze Viertel aufwerten
Bisher waren alle Pläne, zum Beispiel den Ex-Knast als Museum oder Studentenwohnheim wieder nutzbar zu machen, gescheitert. Die Stadt startet nun einen neuen Versuch. Laut Rossel fehlt es in der Unistadt an preisgünstigen Hotelbetten. Das Hostel soll diese Lücke schließen und zudem ein ganzes Viertel wiederbeleben. "Das Gebäude ist eines der Einfallstore in die Altstadt, was in einem ziemlich bedauerlichen Zustand ist. Man fällt quasi vom Bahnhof direkt rein", so Rossel. Viel hat sich hier seit 2007 nicht getan. Wer eintritt, sollte nicht zu viel erwarten: "Man ist natürlich ein bisschen geschockt, denn ein altes Gefängnis ist eben kein Jugendstilhaus", ergänzt Dietmar Linne. Dafür habe das Haus Charakter. Der zeigt sich sowohl in der markanten Außenfassade als auch im Innern des Hauses.
Kaum eine Einzelzelle ist nicht "verziert"
Ein Blick in die Einzelzellen gibt interessante und teils überraschende Einblicke in die Welt der Verurteilten. Kaum ein Raum ist nicht beschmiert, bemalt oder beklebt. Manch ein Insasse hat gar ganze Wände gestaltet, so wie in Zelle 52. Dort lässt bereits ein Schild an der Tür mit der Aufschrift "Kunstzelle" erahnen, dass hier etwas Besonderes zu sehen ist: ein überdimensional großes Gemälde, zwei betende Hände unter einem Rosenstrauch. In anderen Zellen sind mal mehr und mal weniger tiefsinnige Zeilen zu lesen. Liebesbekenntnisse und Hass-Botschaften, Gedichte - das Spektrum ist groß. Zwar stehen noch Toiletten und Waschbecken in den Räumen, Wasser und Strom sind aber abgestellt. Sich vorzustellen, dass in diesen Zellen Gäste bald freiwillig nächtigen und dafür sogar Geld bezahlen, dazu bedarf es derzeit noch viel Fantasie.
"Die Ausnüchterungszelle lassen wir"
Fantasie haben Peter Rossel und Dietmar Linne. Skizzen oder Bauzeichnungen gibt es zwar noch nicht, aber die Planer sprühen nur so vor Ideen, wenn sie durch die Zellentrakte spazieren. "Das Haus soll ein anderes Gesicht bekommen, aber eine JVA bleiben", erzählt Linne. Dabei soll sich die Außenfassade gar nicht so groß verändern. Sogar die Gitter vor den Fenstern sollen teilweise bestehen bleiben. Auch die sechs Quadratmeter kleinen Zellen werden ihre Größe behalten. Dafür soll jede zweite Zelle zum Bad umfunktioniert werden, so dass jeder Raum Zugang zu Dusche und WC hat. Doch ein bisschen "Knast-Vergangenheit" solle spürbar bleiben, da sind sie sie sich einig. "Ich denke, die Ausnüchterungszelle lassen wir. Die ist so schrecklich schauderhaft", sagt Linne.
Dachsanierung erweist sich als harter Brocken
Ein paar Meter hinter der Ausnüchterungszelle klebt ein weißer DIN-A4-Zettel an der Tür. Er weist mit Pfeil auf den "Spazierhof" hin. Hier konnten die Gefangenen also "spazieren gehen, umgeben von Mauer und Maschendraht. Immerhin: Der Blick gen Himmel ist nur durch ein Netz getrübt. Der Hof hat die Größe eines kleinen Vorgartens. Hier soll nach den Plänen von Linne und Rossel künftig der Eingangsbereich Platz finden. Insgesamt sei die Substanz des denkmalgeschützten Gebäudes noch gut erhalten. "Alles ist reparabel und umbaubar", sagt Linne. Der dicke Brocken sei jedoch das Dach. Allein dessen Sanierung koste eine Million Euro. Für den Dachboden gibt es aufgrund der Schräge und der eingeschränkten Nutzfläche noch keine Nutzungskonzepte.
Zweite Etage ist das "Filetstück"
Das Zentrum der ehemaligen JVA soll der Innenhof werden. Der ist den Planern zufolge prädestiniert für Kleinkunst und Theater. Sie sehen bereits Bühnen vor ihrem geistigen Auge: "Der Innenhof hat einen guten Schallschutz und die Staatsanwaltschaft arbeitet in der Regel nachts nicht, das sind ja die Nachbarn auf dem Gelände", erklärt Linne. Insgesamt hat die ehemalige JVA eine Nutzfläche von rund 1.200 Quadratmeter. Als "Filetstück" bezeichnet Linne die zweite Etage. Dort gebe es viel Platz und große Räume, die funktional nutzbar sind. So könnte er sich in der früheren Gefängniskappelle beispielsweise einen Ausstellungsraum vorstellen. Andere Räume eignen sich wiederum für Beratungen oder Seminare.
Anwohner kritisieren Hostel-Pläne
Einige Einwohner des Waageplatzviertels sind von den Plänen nicht überzeugt, sie fühlen sich übergangen. "Studis brauchen kein Hostel, sondern Wohnraum", sagt Luca Dittmer. Die 23-Jährige engagiert sich für das "Bürger*innenforum Waageplatzviertel": "Keiner von uns wäre auf diese Idee gekommen. Das ist nicht das, was wir hier brauchen", so die Studentin. Einmal die Woche trifft sie sich mit ihren Nachbarn, um zu besprechen, was das Beste für das Quartier ist. Einen Masterplan haben die Anwohner aber auch noch nicht. Immer wieder betonen sie, dass bezahlbarer Wohnraum Priorität haben müsse. Doch Wohnraum in der ehemaligen JVA zu schaffen, ist laut Linne einfach nicht drin. Dafür gebe es keine Fördermittel. Auch das Studentenwerk konnte mit dem Ex-Knast nichts anfangen und distanzierte sich bereits von der Idee eines Studentenwohnheims in dem Gebäude.
Flüchtlinge sollen im Hostel-Betrieb mitarbeiten
Eine der zentralen Ideen des Hostel-Konzeptes ist es, Flüchtlinge mit einzubeziehen. Dabei möchten Linne und Rossel auch die Handwerksbetriebe mit ins Boot holen. "Wir wollen versuchen, Flüchtlinge über Praktika in Ausbildungsverhältnisse zu bringen", sagt Rossel. Vor allem der Gastronomie- und Hotellerie-Bereich eigne sich dafür gut. Die Anregung, Flüchtlinge in das Projekt zu integrieren, haben sich Linne und Rossel aus Wien geholt. Ein Fernsehbeitrag habe sie auf ein ehemaliges Altenheim aufmerksam gemacht, das zu einem Hostel umfunktioniert und von Flüchtlingen betrieben wurde. "Wir haben das gesehen und gedacht, das wäre doch auch eine Möglichkeit für die ehemalige JVA", so Rossel. Danach sei man auf ein EU-Förderprogramm gestoßen, das die integrierte nachhaltige Stadtentwicklung fördert. Darauf ruhen jetzt ihre Hoffnungen.
Ohne Förderung geht nichts
Die Stadt ist auf die Förderung angewiesen. Denn Gelder, um das ehemalige Gefängnis komplett selbst zu sanieren, hat Göttingen nicht. Aus dem EU-Förderprogramm könnten der Stadt fünf Millionen Euro winken. Voraussetzung ist jedoch, dass Göttingen eine Million Euro zusätzlich finanziert. Zudem müsse der Antrag deutlich machen, dass sich das Hostel wirtschaftlich selbst tragen könne und ohne weitere Subventionen auskommen werde. Auch das ist laut Dietmar Linne nach den vorliegenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Fall.
2020 könnten die ersten Gäste einziehen
Die EU-Kommission entscheidet frühestens im Oktober. Erst dann wird auch die Bürgerbeteiligung starten. Die Bewohner des Viertels sollen dann mitentscheiden, welche weiteren Einrichtungen neben dem Hostel im Ex-Knast integriert werden könnten. Im günstigsten Fall könnten Ende 2020 die ersten Gäste einziehen.
Gibt es keine Fördergelder, geht die Suche nach einer geeigneten Nutzung der JVA allerdings weiter. Womöglich müssten sich Peter Rossel und Dietmar Linne dann etwas anderes überlegen. Bis dahin bleiben die Räumlichkeiten erst mal Abstelllager für die Stadt Göttingen.