Wie der Pflegebonus in Niedersachsen für Ärger sorgt
Der Pflegebonus soll eigentlich Krankenhauspersonal und Pflegekräfte für die Corona-Zeit belohnen. Doch in Niedersachsens Krankenhäusern wird er als Schlag ins Gesicht empfunden - weil viele leer ausgehen.
Eine Milliarde Euro hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereitgestellt: 500 Millionen für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern, 500 Millionen für die ambulante und stationäre Altenpflege. Ausgezahlt werden sollen bis zu 2.500 Euro pro Person. Krankenhäuser können das Geld beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) beantragen, Altenpflegeeinrichtungen bei den Pflegekassen. Heftig kritisiert wird, dass der Pflegebonus offenbar nach dem gleichen Muster wie unlängst der Corona-Bonus verteilt wird. Das Verfahren hatte der Bundesrechnungshof schon damals als anfällig für Fehler und Missbrauch gerügt.
Viele bleiben unberücksichtigt
Tatsächlich bleiben viele Beschäftigte unberücksichtigt, obwohl sie intensiven Kontakt zu Patienten hatten. Den Bonus bekommen Pflegekräfte und Intensivpflegefachkräfte im Krankenhaus nur, wenn sie 2021 für mindestens 185 Tage auf einer bettenführenden Station beschäftigt waren. Die Pflegekräfte, die im OP, in der Notaufnahme oder in der Psychiatrie arbeiten, in Behinderteneinrichtungen oder im Rettungsdienst können dem Virus genauso ausgesetzt gewesen sein, sie können große Belastungen getragen haben, bekommen aber keinen Bonus.
Kein Bonus trotz Überstunden
Sandra Arndt, Intensivpflegekraft in einem Krankenhaus in der Region Hannover, hatte beispielsweise gerade vor einem internen Wechsel die enorme Zahl von 155 Überstunden abgebaut und kam so im Referenzzeitraum nicht auf die geforderte Anzahl von Tagen am Patientenbett. Deshalb ging auch sie leer aus. "Ich bin desillusioniert. Ich habe schon erwartet, dass es auch diesmal wieder ungerecht zugeht", sagte Arndt dem NDR in Niedersachsen. "Damit wird das Personal gegeneinander aufgewiegelt. So entsteht Neid, Missgunst und Wut."
Enger Kontakt zu Patienten im Operationssaal
Das Personal erfährt laut Rebekka Andreas, Intensivschwester in der Anästhesie eines Braunschweiger Krankenhauses, manchmal erst nach dem Ergebnis von PCR-Tests, dass ein Patient positiv war. Deshalb sei es ungerecht, wenn sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von dem Bonus ausgeschlossen seien. "Wir sind beim Intubieren im OP doch ganz nahe am Patienten", sagte sie.
"Viele werden nicht berücksichtigt"
Katharina von Croy vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hält auch diesen Pflegebonus für "miserabel konzipiert". Die Auszahlungskriterien seien intransparent und willkürlich und führten zu groben Ungerechtigkeiten beziehungsweise dazu, dass viele Pflegefachpersonen, Pflegehelferinnen und -helfer sowie Auszubildende nicht berücksichtigt würden. "Es ist schon bemerkenswert, wie gering der Lerneffekt unter den politisch Verantwortlichen ist - schließlich gab es auch in den beiden Vorjahren gründlich verpatzte Prämien für beruflich Pflegende", sagte Croy.
Ver.di: Bonus muss für alle sein
Auch David Matrai von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bezeichnet die Vergabepraxis als großes Ärgernis: "Die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in der Eingliederungshilfe, im Rettungsdienst gehen seit Jahren über ihre Grenzen, da ruft jeder weitere Anlass Frust hervor." Wolle die Politik verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, müsse sie den Bonus schnell für alle auszahlen.
Wohlfahrtsverbände: Alle sozialen Berufe in den Blick nehmen
Marco Brunotte von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände hätte sich einen Bonus auf breiteren Füßen gewünscht. Einfacher und gerechter wäre es aus seiner Sicht gewesen, wenn alle sozialen Berufe in den Blick genommen worden wären - dazu wäre allerdings auch mehr Geld notwendig gewesen. "Die Menschen müssen spüren, sie werden gesehen und haben am Ende auch mehr im Portemonnaie", sagte Brunotte.
Nicht einmal die Hälfte der Kliniken kann Geld abrufen
Krankenhäuser, die das Geld abrufen wollen, müssen auf ihren Intensivstationen im Jahr 2021 mindestens zehn beatmungspflichtige Corona-Patienten für jeweils mindestens 48 Stunden behandelt haben. Sind es nur neun, wie im Fall des Krankenhauses in Norden, bekommen sie kein Geld. Das zuständige Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) hat eine Übersicht aller Krankenhäuser veröffentlicht, die einen Anspruch auf die Auszahlung haben. Demzufolge sind in Niedersachsen von insgesamt 167 Krankenhäusern 69 anspruchsberechtigt.
Krankenhausgesellschaft sieht Zusammenhalt gefährdet
Helge Engelke von der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) bedauert, "dass aus den schlechten Erfahrungen der vorherigen Pflegebonus-Regelungen nicht gelernt wurde." Aus Sicht der NKG sind die Gesamtmittel für den Bonus zu gering angesetzt und der Kreis der Anspruchsberechtigten ist zu klein. "Auch die Mitarbeitenden der anderen Berufsgruppen haben sich enorm engagiert und waren hohen Belastungen ausgesetzt", sagte Engelke. Die Voraussetzungen für den Bonus sind aus Sicht der NKG nicht geeignet, um eine faire Verteilung zu gewährleisten. "Sie führen vielmehr zu enormen Abgrenzungsproblemen und zu einer Ungleichbehandlung der Beschäftigten." Enttäuschung und Frustration über die empfundene Ungerechtigkeit stellten den Zusammenhalt der Beschäftigten auf die Probe, so Engelke. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat Arbeitgeber und Bundesländer aufgefordert, den Bonus aus eigenen Mitteln aufzustocken. Noch bis Ende 2022 können Arbeitgeber im Krankenhaus- und Pflegebereich an ihre Beschäftigten Sonderzahlungen zahlen, die bis zur Höhe von 4.500 Euro steuerfrei und beitragsfrei in der Sozialversicherung bleiben. Doch der Aufruf ist offenbar verhallt.
Behrens: Niedersachsen kann Bonus nicht aufstocken
Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) sagte dazu: "Niedersachsen hat sich wie alle anderen Bundesländer finanziell nicht in der Lage gesehen, den Pflegebonus für die Beschäftigten in den Kliniken landesseitig aufzustocken." Hinzu kämen die Schwierigkeiten bei der gerechten Verteilung des Bonus. "Ich kann den Unmut vieler Beschäftigten über die großen Unterschiede bei den ausgezahlten Summen daher durchaus verstehen - gleichzeitig ist es ein richtiges Ansinnen der Bundesregierung gewesen, gerade die Pflegekräfte besonders zu belohnen, die im Jahr 2021 die größte Belastung durch die Corona-Pandemie aushalten mussten."