Vorm IS geflohen: Aufenthaltsstatus von junger Jesidin gefährdet

Stand: 30.03.2023 08:00 Uhr

Hayafaa Sharaf Elias ist aus dem Nordirak vor dem IS geflüchtet. Derzeit macht sie eine Ausbildung zur medizinischen Fachkraft in Hannover. Doch mit dem Suizid ihres Vaters verlor sie den Flüchtlingsschutz.

von Hans-Christian Hoffmann

"Sie wollen uns an den gefährlichsten Ort zurückschicken", sagt die 20-jährige jesidische Kurdin mit leiser Stimme. Lange hat sie den Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für sich behalten. Dann hat sie es nicht mehr ausgehalten und ihrem Chef davon erzählt. Hayafaa Sharaf Elias macht derzeit eine Ausbildung zur medizinischen Fachkraft in einer onkologischen Praxis in Hannover. "Ich war erschüttert, wie zynisch einzelne Faktoren abgearbeitet werden, um Menschen abzuschieben", sagt Arzt Ingo Zander. Er besorgt der jungen Frau einen Anwalt, der gegen den Bescheid Klage einreicht, fragt beim Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe nach, was man tun kann, stellt einen Kontakt zum Flüchtlingsrat her.

Protest gegen eine dritte Startbahn auf dem Flughafen München 2012 © BR Foto: Max Hofstetter
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Hayafaa kommt mit 15 als Analphabetin nach Niedersachsen

Die Geschichte der jungen Frau ähnelt denen vieler Menschen, die vor dem sogenannten Islamischen Staat geflohen sind. Ihr Vater rettet sich 2014 mit der Familie in die Berge in der Nähe von Sinjar im Nordirak, einer Hochburg der Kurden jesidischer Religion. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" wollte die Familie dazu zwingen, zum Islam zu konvertieren. "Wir wussten, dass wir umgebracht werden, wenn wir das nicht wollen" erzählt Hayafaa. 2017 gelingt dem Vater die Flucht nach Deutschland. Er bekommt Asyl, kann im Rahmen des Familiennachzugs seine minderjährigen Kinder und seine Frau nachholen. Hayafaa ist 15 als sie nach Niedersachsen kommt - und kann zu diesem Zeitpunkt weder lesen noch schreiben.

Tägliche Furcht vor der Abschiebung in den Irak

Hier betritt sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Schule. "Ich konnte nicht einmal einen Stift richtig halten", sagt sie verlegen lächelnd. Zwei Jahre lang büffelt sie Deutsch, macht ihren Realschulabschluss und nun eine Ausbildung zur medizinischen Fachkraft. Eine Erfolgsgeschichte. Dann die Katastrophe, die alles verändert. Der Vater begeht 2020 Suizid aufgrund einer psychischen Erkrankung. Dadurch verliert die Familie außer dem Vater auch den Asylschutz. Denn der leitete sich vom Asyl des Vaters ab. Ende Januar teilt ihr das BAMF mit: Ihre Flüchtlingseigenschaft werde widerrufen, der subsidiäre Schutz nicht mehr zuerkannt, Abschiebeverbote würden nicht bestehen.

Hayafaa macht sich gut in der Ausbildung

Ingo Zander versteht die Welt nicht mehr. Schon jetzt kann er kaum die nötigen Stellen in seiner Praxis besetzen. Und dann will das BAMF eine intelligente, gut ausgebildete Fachkraft abschieben? "So kann man in Deutschland nicht mit Menschen umgehen", sagt er. Seine junge Auszubildende mache sich so gut, ist so interessiert und hat eine so schnelle Auffassungsgabe, dass er sie nach Ende der Ausbildung übernehmen würde.

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"Die individuelle Verfolgungs-Wahrscheinlichkeit prüfen"

Dass der Bundestag erst vor zwei Monaten die Verfolgung der Jesiden und Jesidinnen durch den IS im Jahr 2014 als Völkermord anerkannt hat, und dass er fordert, Jesiden weitreichenden Asyl-Schutz zu gewähren, ist ein Signal, hat aber keine rechtlichen Folgen. Das BAMF teilt mit, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe oder Religion für sich keinen Anspruch auf eine Schutzform darstelle. "Das Bundesamt muss in jedem einzelnen Fall die individuelle Verfolgungs-Wahrscheinlichkeit prüfen", so das BAMF.

Reden im Bundestag helfen nicht weiter

Insofern seien die Reden im Bundestag nett gemeint, helfen aber im konkreten Fall nichts, so der niedersächsische Flüchtlingsrat. Nun stellt das BAMF nicht einfach Ablehnungsbescheide zu. Zuvor war der Familie Gelegenheit gegeben worden, Gründe zu nennen, die gegen eine Abschiebung sprechen. Doch das haben weder die Mutter, die ohnehin kein Deutsch spricht, getan, noch Hayafaa, die mit ihrer Ausbildung vollauf zu tun hat und mit 20 Jahren vielleicht einfach überfordert ist mit all dem. Das Amt hätte dann ihren individuellen Anspruch auf Asyl prüfen müssen, nachdem der subsidiäre Schutz durch den Vater entfallen ist und sie nur noch einen Duldungsstatus haben.

Außer Straftätern wurde bisher kein Jeside abgeschoben

Annika Hasselmann vom Flüchtlingsrat Niedersachsen sagt: Jetzt werde alles schwierig. Wenn eine Duldung erteilt wird, wird es schwer, eine Arbeit aufzunehmen oder eine Wohnung zu finden. "Jahrelange Duldung, das geht mit großer Resignation und Frustration einher", so Hasselmann. Hayafaa Sharf Elias ist kein Einzelfall. Fast 1.500 mal ist laut Flüchtlingsrat der Schutzstatus für Jesiden im Irak widerrufen worden. Abgeschoben wurde bisher, außer Straftätern, niemand.

Aufenthaltstitel der Familie gilt noch bis 2025

Die Situation der jesidischen Familie war am Mittwoch auch Thema in der Landespressekonferenz. Nach Informationen des NDR in Niedersachsen gilt der Aufenthaltstitel der Familie noch bis 2025, dann wird Hayfaa Sharaf Elias ihre Ausbildung beendet haben. Oliver Grimm, Sprecher des Innenministeriums, stellte deshalb klar: "Von daher ist es mitnichten so, dass dieser Frau hier jetzt unmittelbar die Abschiebung droht, stattdessen ist es eben ein laufendes Verfahren und durch ein Verwaltungsgericht muss das entschieden werden."

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Hallo Niedersachsen | 29.03.2023 | 19:30 Uhr

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