Ungehindert: Fahrunfähige hinter dem Steuer
Martina Burmeister versucht seit Monaten ihre Mutter zu überreden, den Führerschein abzugeben. Denn die 78-Jährige aus Asendorf hat zunehmend Probleme, Verkehrszeichen zu erkennen und schnell auf entgegenkommenden Verkehr zu reagieren. An ihrem Auto sammeln sich Beulen und Kratzer von Pfeilern und Zäunen. Doch trotzdem hängt sie an ihrem Auto. "Auf dem Land ist man ohne Auto aufgeschmissen, hier fährt kein Bus, wie soll ich denn einkaufen gehen?", erklärt die ansonsten rüstige Rentnerin. "Doch was ist, wenn sie mal nicht einen Pfeiler, sondern ein Kind erwischt? Davor habe ich große Angst", entgegnet ihre Tochter.
Angehörige schrecken vor einer Meldung zurück
Die zuständigen Behörden wie Straßenverkehrsämter könnten bei einer Meldung durch Angehörige eine Überprüfung der Fahrtüchtigkeit veranlassen. Die Behörde fordert dann medizinische Unterlagen über die körperlichen Defizite an. Notfalls können Fahruntaugliche nach einer solchen Meldung sogar mit Gerichtsbeschluss zu einer Überprüfung ihrer Fahrfähigkeit gezwungen werden. Doch davor schrecken Angehörige zurück. Ein Dilemma.
Die Polizei dagegen hat eine gesetzliche Meldepflicht, wenn sie im Verkehr fahreignungsrelevante Mängel erkennt. "Die Polizei ist am nächsten dran am Verkehrsteilnehmer. Während ihrer Streifenfahrten im Straßenverkehr und auch während der Verkehrsunfallaufnahme hat sie den direkten Kontakt zum Fahrzeugführer", sagt Verkehrsexperte Dieter Müller. Doch nur selten melden Polizisten eine Überprüfung der Fahrfähigkeit an.
Mitten ins Schaufenster gefahren
Wie im Fall eines 75-Jährigen aus Hamburg im November 2014. Eigentlich wollte er nur zum Friseur. Doch der Einparkversuch des Mannes endete statt vor dem Salon mitten drin: Sein Auto raste durch das Schaufenster. Die Kunden überstanden das Unglück ohne ernsthafte Verletzungen. "Als der Herr ausstieg, war er so durcheinander, dass er fragte, wer ihm denn die Haare schneiden würde", sagt Geschäftsinhaberin Sibylle Adamczyk. Seitdem sind fünf Monate vergangen. Nach eigenen Angaben habe die Polizei bis heute keine Überprüfung seiner Fahrfähigkeit angemeldet. Die Polizei selber möchte sich zu dem Fall nicht äußern.
Verkehrsexperte Dieter Müller bemängelt, dass Polizeibeamte die fahreignungsrelevanten Defizite oft nicht erkennen und deswegen den Fahrer nicht bei den Behörden melden. Der Grund dafür liege in der Ausbildung. "Polizeibeamte sind in diesem Bereich in Deutschland nicht ausgebildet, das heißt diese diagnostischen Fähigkeiten, jemanden in seiner Fahreignungsrelevanz körperlich und geistig zu beurteilen, fehlen in den meisten Studienordnungen der Polizeiausbildung", so Müller.
Es wird immer noch auf Freiwilligkeit gesetzt
Stattdessen wird in Deutschland auf eine freiwillige Einsicht zur Abgabe des Führerscheins gesetzt. Die Polizei Lippe besucht mit einem mobilen Fahrsimulator eine Seniorenresidenz in Detmold. Viele der Testfahrer besitzen schon seit über 50 Jahren einen Führerschein - und halten sich für gute Fahrer. Ein 80-jähriger Fahrer setzt sich ans Steuer des Fahrsimulators. Doch nach einer fünfminütigen Teststrecke offenbaren sich bereits große Defizite: ein umgefahrenes Reh, drei gescheiterte Bremsversuche und eine überfahrene Ampel. Das Fazit des Fahrers ist allerdings eher ernüchternd für die Polizisten: "Ich muss an meiner Reaktionszeit arbeiten, aber ich bin und bleibe ein guter Fahrer", behauptet er. Er wird seinen Führerschein behalten und auch sonst keine Konsequenzen des Fahrtests fürchten müssen.
Darum fordern Experten einen regelmäßigen Gesundheitscheck zur Überprüfung der Fahrfähigkeit ab einem gewissen Alter. In Ländern wie Spanien, Dänemark und Großbritannien ist das längst üblich - in Deutschland jedoch bisher nicht angedacht.