Verkehrswende: Welches Carsharing braucht es auf dem Land?
Carsharing wird von Jahr zu Jahr populärer. Doch noch immer werden viele private Autos die meiste Zeit nicht genutzt. "Leih dir mein Auto" setzt mit neuem Konzept dort an - vor allem auf dem Land.
Denn laut Zahlen des Bundesverbandes Carsharing (bcs) gibt es zwar in mehr als 90 Prozent der Städte mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern Carsharing-Angebote. Demgegenüber haben nur sechs Prozent der Kommunen mit weniger als 20.000 Einwohnern ein Carsharing-Angebot. Bedeutet: Auf dem Land funktioniert Carsharing nicht gut.
"Leih dir mein Auto" will Carsharing auf dem Land attraktiv machen
Mit diesen Zahlen im Hinterkopf erzählt Branchen-Neuling Stephan Kochen, was er besser machen will. Der Mit-Gründer von "Leih dir mein Auto" sagt, dass es die großen Carsharing-Anbieter wegen ihrer Geschäftsmodelle schwer hätten, sich außerhalb der Metropolen zu etablieren. Er selbst kommt aus einer ländlichen Region, aus Hänigsen in der Region Hannover. "Jedes Mal, wenn ich durch mein Dorf spaziere, sehe ich vor den meisten Häusern zwei bis drei Autos stehen. Der 41-Jährige ist sich sicher: Das Modell seiner Firma, bei dem zwei Personen ausreichten, um ein Auto zu teilen, mache Carsharing auch in kleineren Städten und auf dem Land attraktiver. Die Zahl der Autos sei in den vergangenen Jahren schließlich immer weiter gestiegen: auf mittlerweile 48 Millionen in Deutschland - obwohl doch eigentlich das Gegenteil erreicht werden wolle, wie er sagt.
Carsharing zwischen Privatpersonen
Das Teilen eines Autos soll also niedrigschwelliger werden, um die Verkehrswende voranzubringen. "Wir wollen weniger Autos auf den Straßen, mehr Platz zum Leben, eine bessere Nutzung der Ressourcen und gleichzeitig eine Verfügbarkeit für jeden, überall in Deutschland", sagt der Unternehmensgründer im Gespräch mit NDR Niedersachsen. Wie das klappen soll? Autobesitzer verleihen ihr Fahrzeug an Menschen ohne Auto, ob Fremde, Freunde oder Verwandte - von privat an privat also. Die Firma "Leih dir mein Auto" mit ihrer App ist dabei nur Vermittler.
Maximal 19,90 Euro kostet das Carsharing
Sie holten sich deshalb die Versicherung VHV aus Hannover mit ins Boot und entwickelten gemeinsam ein Angebot, mit dem Autoleiher für die Leihdauer eine Zusatzversicherung buchen. Der Vorteil laut Kochen: Falls es einen Unfall gibt, wird der Schadenfreiheitsrabatt bei der Erstversicherung des Autobesitzers nicht angerührt. Der Besitzer muss also nicht fürchten, im Falle eines Schadens hochgestuft zu werden. Und die Kosten? Sie bewegen sich zwischen 9,90 Euro für kleinere oder ältere Fahrzeuge und 19,90 Euro für luxuriösere Autos - zu zahlen von jenen, die sich das Auto ausleihen. Klingt einfach und unkompliziert. Ist es das auch?
Droht bei einem Schaden die Kündigung des Versicherers?
Nachfrage bei Philipp Rehberg von der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Der Referent für Finanzdienstleistungen ist zumindest skeptisch. So könne es passieren, dass nach einem Unfall der Unfallgegner nicht die Verleihversicherung, also die VHV, in Anspruch nimmt, sondern die Erstversicherung des Eigentümers. Wenn die dann den Schaden reguliert, bleibe der Verleiher eben doch auf den Kosten der höheren Schadensfreiheitsklasse sitzen, sprich: Er muss künftig mehr zahlen. Außerdem drohten vertragliche Strafzahlungen oder die Kündigung durch die Haftpflichtversicherung des Halters, wenn der Entleiher nicht im primären Versicherungsvertrag eingetragen ist, sagt er dem NDR Niedersachsen.
Verleiher sollten Erstversicherung informieren
Stephan Kochen lässt die Kritik nicht gelten und verweist darauf, dass die VHV auf Antrag des Entleihers der Erstversicherung die geleisteten Entschädigungszahlungen in jedem Fall erstatte. In einem Punkt gibt er Verbraucherschützer Rehberg aber recht: Es könne vorkommen, dass die Erstversicherung dem Auto-Eigentümer kündigt. Er rät den Autobesitzern deshalb, ihre Erstversicherung darüber zu informieren, dass sie ihr Fahrzeug über "Leih dir mein Auto verleihen".
"Konventionelles Carsharing ist teurer"
Auch die Einschätzung des Verbraucherzentrale-Referenten Rehberg, dass die Kosten der Versicherung mit 10 bis 20 Euro pro Tag recht hoch seien, relativiert Carsharing-Unternehmer Kochen mit einem Vergleich. So koste ein VW Passat etwa bei einem konventionellen Carsharing-Unternehmen für drei Tage fast das Vierfache von dem, was ein Entleiher bei "Leih dir mein Auto" bezahlen müsse.
"Leih dir mein Auto"-App seit August verfügbar
Am Ende erzählt Kochen noch von einer Begebenheit, ohne die er womöglich niemals ins Carsharing-Geschäft eingestiegen wäre. "Als mein Kumpel und Mitgründer Simon Vater wurde und einige Dinge für sein Kind abholen wollte, bot ich ihm meinen Wagen an", sagt der 41-Jährige. "Als wir später bei meiner Autoversicherung nachfragten, wurde uns davon jedoch dringend abgeraten." Sie überlegten, was man tun könne, damit "Menschen sicher und unkompliziert ihre Autos teilen können, ohne ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen." Die Idee zu "Leih dir mein Auto" war geboren. Ob nun dies neue Konzept des Autoteilens, mit dem Kochen und seine Kollegen Carsharing auch auf dem Land attraktiver machen wollen, bei den Menschen gut ankommt? Bislang habe es 250 Anmeldungen und 50 Leihvorgänge gegeben, teilt Kochen nun, gut drei Monate nach Start der App, mit.