Kronsberg in Hannover: Jugendliche sorgen für Angst und Schrecken
Die Jugendkriminalität am Kronsberg in Hannover spitzt sich zu. Anwohner berichten von eskalierender Gewalt, erste Bewohner ziehen weg. Die Polizei zeigt mehr Präsenz, fährt täglich Streife.
Böller in Briefkästen, eingeschlagene Scheiben, verprügelte Schüler: Seit gut zweieinhalb Jahren treiben gewalttätige Jugendliche ihr Unwesen im hannoverschen Stadtteil Kronsberg. Ausgerechnet dort. Als Modellprojekt zur Expo 2000 gebaut, galt der Stadtteil immer als naturnah und familienfreundlich. Multikulti und Bildungsbürgertum funktionierten gut miteinander. Probleme mit schwierigen Jugendlichen, Familienfehden, das hatte es auch vor gut zehn Jahren schon mal gegeben, aber die Lage hatte sich wieder beruhigt. Der Kronsberg war nie ein Problemstadtteil, betont SPD-Bezirksbürgermeister Bernd Rödel und er sei auch jetzt kein Hotspot für Jugendkriminalität. Aus Sicht vieler Anwohner allerdings, eskaliert die Gewalt, die etwa 15 bis 20 Jugendliche seit gut zweieinhalb Jahren im Quartier an den Tag legen.
"Die Politik tut nichts"
Familienvater Olaf Thiele zeigt neben seine Haustür. Zwei Briefkästen haben sie ihm hier nacheinander mit Böllern in die Luft gejagt. Die flogen meterweit. Erst Freitag vor einer Woche flog ein Böller gegen das Küchenfenster. Das Loch ist schwarz umrandet. Im Sommer schon flog ein Böller durch das geöffnete Küchenfenster. Seitdem prangt ein Brandfleck auf dem Boden. Thiele ist genervt: "Sie können sich vorstellen, die Familie sitzt am Tisch, es scheppert, alle haben erstmal Angst. Das ist schon sehr ungemütlich. Wir sind einfach sauer, weil wir merken, die Jugendlichen machen mehr und mehr und die Politik tut nichts." Allein in Thieles Nachbarschaft soll seit Silvester ein Dutzend Briefkästen in die Luft gesprengt worden sein. Thiele weist auf ein zertrümmertes Küchenfenster in der Nachbarschaft. Er sagt, die Jugendlichen seien mit Holzlatten auf das Fenster losgegangen. Mehrere Nachbarn seien inzwischen weggezogen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Einer habe erzählt, bei ihm sei dreimal die Terrassentür eingetreten worden.
Jugendkriminalität sorgt Anwohner
Freya Markovis zeigt auf ihre Haustür, die hätten Jugendliche an Halloween eingetreten. Ihr Mann und ein Nachbar hätten sie festgehalten, bis die Polizei kam. Die Eltern der Kinder reagierten darauf mit Anzeigen. Das hat auch Thiele erlebt, als er Halloween einen Jungen festhielt, der ihm eine Schreckschusswaffe ins Gesicht gehalten hatte. Erst kam der schimpfende Vater, dann die Anzeige. Ein Jugendlicher berichtet, wie er über Jahre hinweg von Jugendlichen bedroht und verprügelt wurde. Jungen, die er aus der Grundschule noch kannte. Rollstuhlfahrer aus einer Diakonie-WG gegenüber des Stadtteilzentrums erzählen, dass die Jungen immer wieder Feuerwerkskörper in ihre Richtung werfen. Sie haben Angst und fühlen sich nicht geschützt. Ein Mann, der um die Ecke wohnt, zeigt einen kleinen Plastikeimer mit rund 100 Schreckschusspatronen. Er will beobachtet haben, wie Jugendliche sie an einem Abend in seiner Straße verschossen haben. Seine Kinder sammelten sie auf.
Jugendliche brauchen Grenzen und Hilfe
Freya Markovis erzählt, sie und ihr Mann hätten sofort Anzeige wegen Sachbeschädigung der kaputten Haustür erstattet. Sie sorge sich auch um ihre Kinder. Der an sich so selbständige zehnjährige Sohn traue sich schon nicht mehr allein vom Training heim. Trotzdem: "Meine Überzeugung ist, dass die, die den meisten Quatsch machen, keine Schwerverbrecher sind. Die sind abgehängt worden, durch Corona oder auch vorher schon. Natürlich brauchen die Grenzen, aber vor allem muss man mit denen arbeiten, nicht gegen die.“ Auch Olaf Thiele sieht das so: "Viele Jugendliche wissen einfach nicht, was sie am Wochenende abends machen sollen. Wenn sie hier in die IGS gehen, kriegen sie ja noch nicht mal eine Bahnfahrkarte, um in die Stadt zu fahren. Sie hängen hier im Viertel fest und es gibt keine Angebote. Hier ist Freitag, Samstag alles zu.“
Schule sei nicht Teil des Problems
Die Schulleiterin der IGS Kronsberg, Kathleen Fleer sagt, sie habe bei einem Bürgerdialog im Dezember erstmals gehört, wie sehr sich viele Anwohner im Stadtteil bedroht fühlen. Von randalierenden Schülern könne sie in ihrer Schule aber nicht berichten. Allerdings beobachte sie, dass viele Schüler infolge der Pandemie echte Not hätten, keine Perspektive sähen und sich nicht gehört fühlten: "Wenn wir mit den Jugendlichen sprechen, die gegen die Regeln verstoßen, merken wir, dass die auch voller Schmerz sind, dass die auch ein bisschen verloren sind, in der Pandemie auch vergessen wurden. Oft schaffen die Eltern die Unterstützung nicht und nehmen die Verantwortung nicht so wahr, wie wir uns das wünschen würden.“ Auch sie sieht, es gibt zu wenig Angebote für die Jugendlichen, sinnvolle Beschäftigung fehle.
Stadt Hannover verweist auf gute Infrastruktur
Rita Maria Rzyski, Jugenddezernentin der Stadt Hannover, teilt die Einschätzung, den Jugendlichen fehle Perspektive und Beschäftigung. Doch sie hält das Angebot im Stadtteil an sich für gut, verweist auf Ganztagsangebote in Schulen und Sportvereine und Jugendeinrichtungen. Aber sie räumt ein, es fehlten "informelle Treffpunkte“, Plätze an denen Kinder und Jugendliche unter sich sein könnten, ohne Anleitung Erwachsener und ohne Mitgliedschaften. Daran wolle die Stadt jetzt mit den Akteuren im Quartier arbeiten. Für ein echtes Quartiersmanagement sei leider kein Geld da. Immerhin sollten nun vorübergehend Straßensozialarbeiter aus anderen Stadtteilen an den Kronsberg abgeordnet werden.
Tägliche Polizei-Streifen am Kronsberg
Die Polizei zeigt inzwischen mehr Präsenz im Stadtteil, fährt täglich Streife und alle 14 Tage gibt es Bürgersprechstunden vor dem Stadtteilzentrum. "In den Dialog zu treten, ist natürlich auch so eine Sache, das subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen und um Fragen zu klären, was können Anwohnende tun, und was kann die Polizei tun“, sagt Dennis Schmitt, Pressesprecher der Polizeidirektion Hannover. Im Gespräch mit drei seiner Kollegen machen sich am vergangenen Mittwochabend Dutzende besorgte Bürgerinnen und Bürger Luft.
Bewohner wollen für ihren Stadtteil kämpfen
Eine Frau schildert einem Beamten von großer Aufbruchstimmung, von Lebensqualität und Wir-Gefühl, als die ersten Familien den Stadtteil damals um die Jahrtausendwende bezogen. Jetzt fürchte sie, gehe alles kaputt. Der Hinweis des Polizisten, in anderen Stadtteilen sei die Gewalt viel gravierender, beruhigt die Menschen am Kronsberg nicht. So weit wollen sie es hier gar nicht kommen lassen, dass sie Zerstörungswut und Gewalt in ihrer Nachbarschaft einfach hinnehmen. Viele bleiben noch lange beisammenstehen und diskutieren, ob wohl es längst dunkel und kalt ist. Sie sagen, sie wollen kämpfen um ihren Stadtteil. Und um jeden einzelnen Jugendlichen.