Gegen den Schmerz: Mutter von Getöteter spricht mit einem Mörder
Die Tochter zu verlieren, ist kaum zu ertragen - besonders, wenn sie Opfer eines Verbrechens wurde. Rieka Herrmann hat das erlebt. Ein einzigartiges Justiz-Projekt hat ihr geholfen. In Oldenburg traf sie auf einen anderen Mörder.
Wie soll das jemals wieder gut werden? So hat auch Rieka Herrmann gefühlt, als ihre 21-jährige Tochter 2011 auf offener Straße erstochen wurde - in Hannover ein Kriminalfall, der für Entsetzen sorgte und immer noch nicht gelöst ist. Der Täter flüchtete, bis heute ist er unbekannt. Für Rieka Herrmann änderte sich das gesamte Leben von einem Moment auf den anderen. Und noch immer sind nicht alle Wunden geheilt.
Tochter getötet: "Wollte einem Mörder sagen, was er angerichtet hat"
Rieka Herrmann und die Familie blieben mit großem Schmerz zurück, kaum in der Lage, den Alltag zu bestreiten, weil sich alles um die offenen Fragen drehte, erzählt sie. Deshalb hat sie an einem Justiz-Projekt teilgenommen, bei dem es um einen Dialog geht, um die Wahrnehmung der anderen Seite. Der sogenannte Täter-Opfer-Kreis fand in der JVA Oldenburg statt. "Ich wollte einem Mörder sagen, was er angerichtet hat mit der Familie. Was das alles, dieser gesamte Schmerz, der so übermächtig ist, was das ausgelöst hat. Und ich wollte vor allen Dingen auch wissen, warum? Ich wollte wissen: Warum morden Sie?"
Straftäter als Stellvertreter im Dialog
Ob nach einem Überfall, einem Einbruch oder wie bei Rieka Herrmann nach einem Tötungsdelikt - die Betroffenen bekommen unter Anleitung einen Schutzraum für einen Dialog mit der Gegenseite. Es ist nicht der Täter, der für das persönliche Trauma direkt verantwortlich ist, sondern ein Stellvertreter, der ähnliche Taten begangen hat und bereit ist, darüber zu sprechen.
Projekt im Gefängnis: Gerechtigkeit im Ungleichgewicht
Derzeit bereitet Therapeutin Daniela Hirt aus Oldenburg wieder Treffen vor, diesmal in der JVA Bielefeld. Es ist ihr viertes Mal und wird geleitet vom Grundgedanken der "Restorative Justice", also einer Art "wiederherstellender Gerechtigkeit", erklärt Projektleiterin Hirt. "Wenn Straftaten passieren, dann ist die Gerechtigkeit ins Ungleichgewicht geraten. Wir, die Gesellschaft, streben aber danach, dass sich eine Gerechtigkeit wieder einstellt und das macht 'Restorative Justice'."
Vorbereitungen in der JVA Bielefeld laufen
Ende August soll das Projekt wieder stattfinden. Der Aufwand ist für Gefängnisse groß, weil das Projekt Personal bindet und intensiv begleitet wird - und bei Betroffenen ist es weitgehend unbekannt. So ist das laufende Projekt das einzige im Einzugsbereich Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Es sind noch Plätze für Betroffene von Kriminalität frei.
Chance für Straftäter, Folgen ihrer Taten zu begreifen
Beide Gruppen, also Opfer und Täter, werden in fünf Treffen unabhängig voneinander vorbereitet, bevor sie am Ende im Stuhlkreis aufeinandertreffen. Daniel Rilli, der die Sozialabteilung der JVA Bielefeld-Brackwede leitet, ist überzeugt, dass auch Gefangene profitieren: "Der große Wert des Täter-Opfer-Kreises ist, dass auch die Straftäter das Geschehene begreifen können. Es wird anfassbar und spürbar, mehr noch, als das Therapien leisten können. Es macht ganz viel mit den Menschen."
Mutter findet Erleichterung vom Schmerz
Rieka Herrmann hat es Jahre nach dem gewaltsamen Tod ihrer Tochter geholfen, mit einem Mörder zu sprechen. Mit Unbehagen und Beklemmungen fuhr sie in die JVA und ließ auf dem Rückweg nach Hause mit jedem Kilometer etwas von ihrem Schmerz zurück, wie sie beschreibt. "In dem Moment habe ich verstanden: Es hat was mit der Konfliktfähigkeit dieser Person zu tun. Die war nicht in der Lage, einen Konflikt, der offensichtlich da war, auf eine andere angemessene Art zu lösen. Und ist einfach durchgedreht." Diese Erklärung ist für sie befreiend.