Fall Aiwanger: Antisemitismusbeauftragter fordert Rücktritt
Niedersachsens Antisemitismusbeauftragter Gerhard Wegner kritisiert Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger. Sein Verhalten in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt sei "absolut unbefriedigend".
"Anstatt sich hinzustellen und sich in angemessener und wirklich glaubwürdiger Weise für diese unsägliche und auch eklige Schrift zu entschuldigen, wird verschleiert, wie es dazu gekommen ist", sagte Wegner, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Niedersachsen. Das Verhalten von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) finde er "absolut unbefriedigend". "Deshalb müsste Aiwanger eigentlich zurücktreten, wenn ihn Markus Söder schon nicht entlassen will", sagte der Theologe. Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) hatte in der vergangenen Woche über ein angeblich von Aiwanger in seiner Schulzeit verfasstes antisemitische Flugblatt berichtet. Aiwanger bestreitet die Vorwürfe. Er räumte lediglich ein, dass "ein oder wenige Exemplare" des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden worden seien.
"Absurde und auch eklige Formen des Gymnasiastenhumors"
Der ältere Bruder Aiwangers hatte sich kurz darauf als Verfasser des Hass-Pamphlets bekannt. Gegen Aiwanger, der als Spitzenkandidat der Freien Wähler bei der Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober antritt, wurden indes weitere Vorwürfe laut. So werfen ihm ehemalige Mitschüler vor, als Gymnasiast den Hitlergruß gezeigt, antisemitische Witze gemacht und nationalistisches Gedankengut verbreitet zu haben. Für Niedersachsens Antisemitismusbeauftragten Wegner zeigt der Fall Aiwanger, "welcher Grad von Antisemitismus in Schulen und Gymnasien in den 1980er-Jahren möglich war - nicht nur in Bayern". Derart "absurde und auch eklige Formen des Gymnasiastenhumors" seien damals verbreitet gewesen. "Das weiß ich aus eigener Erinnerung."
Wegner: "Aiwanger öffnet einen Raum für antisemitische Äußerungen"
Auch heute noch sei Antisemitismus ein verbreitetes gesellschaftliches Problem, so Wegner. Er verwies auf Untersuchungen, denen zufolge vier Prozent der Menschen in Deutschland "als harter Kern der Antisemiten" gelten. Um ein Vielfaches größer sei der Kreis derer, die judenfeindliches Verhalten akzeptierten oder sogar gutheißen würden. "Aiwanger öffnet einen Raum für antisemitische Äußerungen", sagte Wegner am Freitag dem NDR Niedersachsen. "Das ist das Gefährliche an dieser ganzen Diskussion."
Nimmt die Erinnerungskultur Schaden?
Aiwanger bestreitet unterdessen weiterhin die gegen ihn erhobenen Vorwürfe - entschuldigte sich am Donnerstag allerdings öffentlich. Gleichzeitig beklagte Bayerns Vize-Ministerpräsident eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei. Aus Sicht des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, schadet Aiwanger der Erinnerungskultur in Deutschland, weil er die Vorwürfe nicht vollumfänglich aufkläre.