Was wurde aus den Lampedusa-Flüchtlingen?
An jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken: John (Name von der Redaktion geändert) will mit seinen eineinhalb Jahren die Welt erkunden, so wie jedes andere Kind. Doch so unbeschwert wie viele seiner Altersgenossen wird er wohl nicht aufwachsen: Denn obwohl John in Hamburg geboren wurde, hat er keine Ausweispapiere, hält sich illegal in Deutschland auf. Seine Eltern kommen aus der "Lampedusa in Hamburg"-Gruppe.
Weil sie in Deutschland nicht arbeiten dürfen, ist das Geld immer knapp. "Wir haben immer zu wenig von allem, besonders Babynahrung und Sachen für John. Deswegen frage ich immer Leute, ob sie mich mit ein bisschen Geld unterstützen können, damit ich Essen oder Windeln kaufen kann", erzählt Johns Vater Sammi.
Obdachlosigkeit statt Arbeit
Er und seine Frau kamen wie rund 300 andere Flüchtlinge vor zwei Jahren aus Italien nach Hamburg. Die Afrikaner hatten in Libyen gearbeitet und waren 2011 vor dem Krieg über das Mittelmeer nach Lampedusa geflohen. In Italien wurden sie aus humanitären Gründen als Flüchtlinge anerkannt, bekamen Aufenthaltstitel von bis zu zehn Jahren. Doch trotz Arbeitserlaubnis gab es dort für sie keine Jobs. Auf der Suche nach Arbeit strandeten viele in Hamburg. Einige Flüchtlinge erzählen, dass die italienischen Behörden ihnen sogar Geld für die Ausreise nach Hamburg gezahlt hätten.
Doch der Traum vom neuen Leben platzte schnell: Denn Flüchtlinge, die in einem EU-Land anerkannt werden, dürfen nicht automatisch in einem anderen Land leben und arbeiten. Die italienischen Papiere erlauben ihnen lediglich einen dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland - als Touristen. Arbeiten dürfen sie hier gar nicht. So landeten viele aus der Gruppe erst einmal in der Obdachlosigkeit.
Kollektives Bleiberecht gefordert
Anstatt nach Italien zurückkehren zu müssen, forderte "Lampedusa in Hamburg" ein kollektives Bleiberecht in der Hansestadt. Mit einer wachsenden Anzahl von Unterstützern wurden Demonstrationen organisiert und Flugblätter verteilt. Unter dem Druck der Öffentlichkeit bot der Hamburger Senat schließlich eine Einzelfallüberprüfung an: Wer sich bei den Behörden melde, solle eine Duldung bekommen und sein Aufenthaltsstatus würde geprüft. Für viele der Flüchtlinge ein fauler Kompromiss. Denn der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss, am Ende könnte sogar der Verlust der italienischen Papiere stehen. "Die Definition von Duldung bedeutet kurzzeitige Verschiebung der Abschiebung. Aber 'Lampedusa in Hamburg' hat doch schon das Recht zu arbeiten, wir haben alle das italienische Asylsystem durchlaufen", meint Abimbola Odugbesan, einer der Flüchtlinge. "Was wir brauchen ist die Anerkennung unserer Dokumente, eine Arbeitserlaubnis, so dass wir unseren ökonomischen Beitrag für die Hamburger Gesellschaft leisten können."
Darum ging auf das Angebot des Senats nur ein kleiner Teil der Gruppe ein. Auf Anfrage von Panorama 3 teilt die Hamburger Innenbehörde mit, es "haben 69 der insgesamt 73 Personen [...] einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt". Wann diese abgeschlossen sei und wie sie ausgehe - das sei ungewiss. Nach Angaben von "Lampedusa in Hamburg" leben aber mehr als 100 Flüchtlinge in Hamburg, die keinen Kontakt mit den Behörden aufgenommen haben. Wie viele es insgesamt sind ist unklar, denn ein Teil soll Deutschland wieder verlassen haben.
Offiziell illegal
Die Betroffenen sind also offiziell illegal, erhalten keine Hilfe von der Stadt. Ein Großteil ist mittlerweile bei Unterstützern untergekommen und auf Spenden angewiesen. Andere leben von Schwarzarbeit. Einer von ihnen ist Ali. Der junge Mann arbeitet als Küchenhilfe in einem Restaurant. Jeden Tag zwischen vier und sechs Stunden - so wie sein Chef ihn braucht. Der Lohn: 450 Euro im Monat. Eigentlich würde er lieber legal arbeiten: "Mein Boss weiß genau, dass ich nicht das Recht habe zu arbeiten. Er mag diese Art von Angestellten, weil er mich benutzen kann wie er will. Die Leute mit Papieren gehen nach Hause, wenn sie mit der Arbeit fertig sind und lassen mich mit dem Rest zurück. Es ist nicht mehr ihr Problem. Auf mich blicken sie hinab, als ob ich zweit- oder drittklassig sei", erzählt Ali.
Festgefahrene Lage
Die Lage der Lampedusa-Gruppe scheint festgefahren. Denn bewegen will sich der Hamburger Senat nicht. Auf die Anfrage von Panorama 3, ob man eine Initiative plane, die den Illegalen neue Perspektiven eröffne, antwortet die Behörde mit "Nein". Dabei haben die Flüchtlinge schon Fakten geschaffen: Trotz schlechter Lebensbedingungen haben sie sich ein Umfeld aufgebaut und sind mittlerweile in Hamburg angekommen. Constanze Funck aus dem Büro der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche hat die Flüchtlinge seit ihrer Ankunft begleitet. Sie fordert, dass der Senat sich noch einmal bewegt: "Wir hoffen, dass der Senat Möglichkeiten eröffnet, damit die gesamte 'Lampedusa in Hamburg'-Gruppe hier bleiben kann, ein Bleiberecht in Deutschland erhält."
Dann könnte auch John aufwachsen wie jedes andere Kind.