Neues Modell für Hebammen in Hamburg
Die Zahl der neugeborenen Kinder ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen - wie auch die Zahl der Hebammen. Und trotzdem müssen schwangere Frauen inzwischen viel telefonieren, bis sie eine freie Hebamme als Geburtshelferin bekommen. Dabei sind Hebammen die wichtigste Hilfe für Mütter vor, während und nach der Geburt und jede Mutter hat ein Recht auf eine Hebamme. Dem Deutschen Hebammenverband zufolge kann fast jede zweite Klinik offene Stellen nicht besetzen. Die "NDR Info Perspektiven" haben Hebammen an einer Hamburger Klinik besucht, die für sich bessere Arbeitsbedingungen schaffen konnten.
Laut des deutschen Hebammenverbands betreuen Hebammen in Deutschland doppelt bis dreifach so viele Frauen während der Geburt wie in anderen europäischen Ländern. Viele Hebammen fühlen sich überlastet, mehr als zwei Drittel von ihnen arbeiten in Teilzeit, nur noch 20 Prozent sind in Vollzeit beschäftigt oder arbeiten in der Vorsorge und Nachsorge.
Christiane Schwarz ist Hebammenwissenschaftlerin an der Universitätsklinik Lübeck und sieht die Arbeitssituation an den Kliniken als Hauptgrund dafür. Die Hebammen hätten dort gar nicht die Zeit, sich so um eine Gebärende zu kümmern, wie es eigentlich notwendig wäre. "Der Spagat zwischen dem, was wir möchten und wissen und dem was wir im Alltag tatsächlich tun können, führt dazu, dass viele Kolleginnen sich aus der Geburtshilfe zurückziehen." Es habe einen erheblichen Geburtenzuwachs gegeben und gleichzeitig nehme die Zahl der Hebammen an den Kliniken ab. "Diese Situation wirkt sich auf die Gesundheit der verbliebenen Hebammen aus und geht auch auf Kosten der Frauen und Kinder."
Bessere Betreuungsschlüssel in Nachbarländern
Ein aktueller Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht vor, dass angehende Hebammen künftig ihren Beruf nicht mehr in einer Ausbildung sondern im Rahmen eines Studiums erlernen. Auch diese Akademisierung sei in anderen Ländern längst vollzogen, erklärt Schwarz.
Der deutsche Hebammenverband spricht derweil von einer "Mangelverwaltung in der Geburtshilfe". Der Verband hat eine Liste mit zehn Forderungen veröffentlicht - darunter die Eins-zu-eins-Betreuung, also eine Hebamme auf eine werdende Mutter. In vielen europäischen Ländern gebe es diesen Betreuungsschlüssel längst. "In England ist das seit über 20 Jahren gesetzlich festgelegt und es funktioniert wunderbar", sagt auch Christiane Schwarz.
Zu wenig Hebammen, um Bedarf zu decken
In der Asklepios Frauenklinik in Hamburg Altona ist das Konzept des Hebammenkontors diesem Vorsatz schon sehr nahe gekommen. Die Klinik gehört zu Deutschlands größten Geburtstationen. Auch dort steigt die Zahl der Geburten. Doch bis vor drei Jahren sah es dort ziemlich schlecht aus. 2016 kamen hier mehr als 3.200 Kinder zur Welt - ein Rekordstand. Und gerade in dem Jahr kündigten fünf Hebammen. Auf die Stellenanzeigen meldete sich niemand. Der Kreißsaal musste häufig wegen zu wenig Personal schließen und hochschwangere Frauen abweisen. Die verbliebenen Hebammen wollten die Situation so nicht mehr länger hinnehmen und haben nach einer Lösung gesucht.
Ständige Überlastung war Normalfall
Hebamme Laura Kerkenhoff arbeitet seit fünf Jahren auf der Geburtsstation der Asklepios Frauenklinik. Als festangestellte Hebamme musste sie sich gelegentlich auch mal um vier Frauen gleichzeitig kümmern. Zwei Überstunden pro Schicht seien wegen der vielen Dokumentation nach jeder Geburt normal gewesen. "Was wir damals teilweise zu zweit im Spätdienst gerockt haben, das machen wir jetzt zu viert oder fünft. Also im Angestelltenverhältnis bin ich weder mir noch den Frauen gerecht geworden. Und das war schon grenzwertig."
Beleghebammen - in Bayern schon gängiges Modell
Für angestellte Hebammen gibt es keinen festgelegten Betreuungsschlüssel. Als auch Gefährdungsanzeigen und ein Beschwerdebrief an die Klinikleitung nichts helfen, entschließen sich Kerkenhoff und ihre Kolleginnen zu einem Neustart. Seit mehr als eineinhalb Jahren arbeiten die 27-Jährige und ihre 32 Kolleginnen jetzt im Hebammenkontor als Selbstständige, als sogenannte Beleghebammen direkt angebunden an die Klinik. Geburtshilfe, Rufbereitschaft und eine Nachsorge-Ambulanz - alles regeln sie selbst. Ein Drittel von ihnen arbeitet Vollzeit. Die Idee kam von einer Kollegin, die an eine Münchner Frauenklinik mit diesem Modell wechselte. In Bayern arbeiten über die Hälfte der Geburtshelferinnen als Beleghebammen.
Ein Konzept, das Schule machen könnte
Laura Kerkenhoff sieht große Vorteile in der Selbstbestimmheit. "Wir können selbst regeln, wie viele Hebammen wir pro Schicht haben wollen, ebenso die Schichtlänge. Wir arbeiten jetzt im 12-Stunden-System, was ich persönlich total gut finde, weil man Zeit hat, die Frauen länger zu betreuen und man hat dadurch natürlich mehr Tage auch frei", erklärt sie. Ein weiterer großer Vorteil ist das Abrechnungssystem. Denn als Beleghebamme stellen sie der Krankenkasse die Geburten in Rechnung. Und die übernimmt nur die Kosten für zwei Geburten gleichzeitig. Das habe ihre Arbeit deutlich verbessert, so Hebamme Claudia Unruh. "Daran kann man sehen: Es geht hier nur um das Finanzielle, es geht nicht darum die Frauen besser zu betreuen. Denn wenn das der Grund wäre, würde das auch für die Angestellten gelten und wäre gesetzlich festgelegt." Mittlerweile erkundigten sich viele Kolleginnen von außerhalb nach ihrem Konzept.
Neues Modell gleicht auch Risiken besser aus
"Wir würden es nicht machen, wenn es sich nicht lohnen würde", sagt sie "Aber man darf die Nachteile der Selbstständigkeit nicht vergessen. Die Fixkosten sind deutlich höher, wir müssen alle Sozialversicherungen selbst tragen. Da muss man gut wirtschaften, dass man da für sich auf einem grünen Zweig ist und bleibt." Urlaubs- oder Krankengeld fallen für sie als Selbstständige weg. Die Haftpflichtversicherung von etwa 8.000 Euro im Jahr müssen sie zwar vorstrecken. Doch fast zwei Drittel gleicht die Krankenkasse wieder aus, so Kerkenhoff. Je mehr sie arbeite, desto höher sei ihr Verdienst.
In Norddeutschland ist die Asklepios Frauenklinik in Altona die einzige Klinik in dieser Größe, die ausschließlich mit selbstständigen Hebammen zusammenarbeitet. Der Leiter der Frauenklinik, Volker Ragosch, hat schon viele Nachfragen bekommen. "Sie brauchen ein vertrauensvolles Verhältnis sowohl mit der Geschäftsführung, als auch mit der Leitung der Klinik und mit den Hebammen. Viele Dinge müssen vertraglich geregelt werden. Die oberste Priorität einer Geburtsklinik ist einfach Sicherheit."
Auch die Gebärenden profitieren
Das Krankenhaus würde durch die Beleghebammen pro Geburt zwar weniger verdienen, spare aber auch Personalkosten, so Ragosch. Seit dem Start des Hebammenkontors sei der Kreißsaal nicht ein einziges Mal wegen Personalmangels geschlossen worden. Hebamme Claudia Unruh weist noch darauf hin, dass auch weniger Frauen als vorher während der Geburt auf Schmerzmittel angewiesen seien. In einer Patientenbefragung der Klinik empfahlen 98 Prozent der befragten Frauen die Klinik weiter. "Ob eine Frau eine Geburt als traumatisch empfindet, kann man sehr deutlich daran messen, ob sie begleitet worden ist unter der Geburt. Wenn man einfach da ist und denen das Gefühl gibt, man passt auf sie und ihr Kind auf, dann ist das ein ganz anderes Outcome für die Mutter und ehrlich gesagt auch für die Hebamme."