Gerollter Stacheldraht vor trübem Himmel © NDR/Pantaleon Films

Nach Drogenrazzia in Santa Fu: Kritik an Hamburger Senat wächst

Stand: 10.05.2023 16:58 Uhr

Nach den Drogenrazzien in der JVA Fuhlsbüttel wächst die Kritik am Hamburger Senat. Oppositionspolitiker und Experten kritisieren Sicherheitslücken im Gefängnis.

von Catharina Felke, Benedikt Strunz

Jan Reinecke arbeitet seit vielen Jahren als Kriminalpolizist. Als Experte für Wirtschaftskriminalität hat er eher einen analytischen Blick. Doch die Vorgänge rund um die JVA Fuhlsbüttel machen den Hamburger Landesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) ärgerlich: "Wenn man in Fuhlsbüttel mit genügend Vermögen ein wunderbares Leben führen kann. Wenn man seinen Rauschgifthandel weiterhin betreibt und edle Feinkost-Artikel speist, dann ist das eine sicherheitspolitische Katastrophe, aber sicher keine geeignete Strafe", meint Reinecke im Interview mit dem NDR.

Kronzeuge Jason B. gab die Hinweise zur Durchsuchung

Mauern, Zäune und Stacheldraht sichern den Eingangsbereich der JVA Fuhlsbüttel (Rotklinkerbau). © picture alliance Foto: Christian Charisius
Die JVA Fuhlsbüttel ist ein Gefängnis für den geschlossenen Vollzug: Vorrangig sind dort Häftlinge mit längeren Freiheitsstrafen inhaftiert.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass Fahnder des LKA 62 in einer gemeinsamen Aktion 26 Durchsuchungen in Hamburg und im Umland durchgeführt hatten wegen des Verdachts des illegalen Handels mit Drogen. Dabei wurden auch die Zellen von 13 Strafgefangenen der JVA Fuhlsbüttel durchsucht, die im Verdacht stehen, mehr als ein Kilo Haschisch und Kokain in das Gefängnis eingeschmuggelt zu haben. Der Kronzeuge Jason B., der selbst eine mehrjährige Haftstrafe in Fuhlsbüttel verbüßte, hatte das Verfahren in Gang gebracht. Er soll für mehrere einschlägig vorbestrafte Schwerkriminelle die Drogen in die JVA geschmuggelt haben, darunter zahlreiche Unterweltgrößen aus dem Bereich der Rocker-Kriminalität und des Internationalen Drogenhandels.

Verbindung zu Encrochat-Ermittlungen

Den Angaben von Jason B. zufolge, habe er unter anderem im Auftrag von Mehmet S. die Drogen nach Santa Fu geschmuggelt. Mehmet S., genannt Memo, wurde im Rahmen der sogenannten Encrochat-Ermittlungen festgenommen. Weil er mehrere Tonnen Kokain über den Hamburger Hafen eingeschmuggelt hat, wurde er vom Hamburger Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Im Interview mit dem NDR gibt der Kronzeuge B. an, dass Memo, wie zahlreiche andere Schwerkriminelle in der JVA Fuhlsbüttel, die in das Gefängnis geschmuggelten Drogen weiterverkauft habe. "Die haben sich dann zum Beispiel mit Amazon-Gutscheinen bezahlen lassen." Von dem Geld hätten sich die schwerkriminellen Insassen anschließend über den Versandhandel teure Kleidung, Elektrogeräte, DVDs und sogar Teppiche in ihre Zellen bestellt. Über Freigänger hätten sie auch teure Lebensmittel bestellt, wie etwa Kalbsschnitzel. Die Rechtsanwältin von Mehmet S. wollte eine Anfrage des NDR nicht beantworten. 

Weitere kriminelle Geschäfte von Insassen der JVA wahrscheinlich

Der Fall ist auch deshalb heikel, weil derzeit in Fuhlsbüttel zahlreiche Straftäter aus dem Bereich des internationalen Drogenhandels einsitzen. Sie waren im Rahmen der sogenannten Encrochat-Ermittlungen festgenommen worden.

Im Interview mit dem NDR beschreibt Jason B., dass diese Gefangenen-Gruppe derzeit sehr eng miteinander verkehre und sich untereinander austausche. Einige Gefangene stehen im Verdacht, auch weiterhin illegale Geschäfte aus dem Gefängnis heraus zu koordinieren. "Das ist das reinste Klassentreffen. Man muss sich das wie ein Fortbildungsprogramm für Kriminelle vorstellen", sagt B.

Verwicklung eines JVA-Angestellten möglich

Nach Informationen des NDR wird im Rahmen des Verfahrens auch gegen einen JVA-Angestellten ermittelt. Er soll gegen die Zahlung von Geld Jason B. Gefälligkeiten erwiesen haben. Auf Nachfrage wollte dies weder die Staatsanwaltschaft Hamburg noch die Behörde für Justiz bestätigen. Eine Sprecherin der Justizbehörde teilte dem NDR mit, man begrüße die Durchsuchungsmaßnahmen. Weiter hieß es, dass Strafgefangene in der JVA Fuhlsbüttel zwar Waren bestellen könnten. Diese würden ihnen aber lediglich ausgehändigt, wenn sie einen bestimmten Wert nicht überschritten. Im Falle von Elektrogeräten liege dieser Wert bei 1.200 Euro. Es gäbe allerdings keine Obergrenze, wie oft im Monat Strafgefangene sich Gegenstände über den Versandhandel bestellen könnten. Nahrungs- und Genussmittel dürften grundsätzlich nicht in die Haftanstalt gebracht werden. Selbstverständlich würden "verschiedene Maßnahmen ergriffen, um dem Einbringen von verbotenen Gegenständen entgegenzuwirken", dies schließe das Durchsuchen von Zellen ein.

CDU fordert Aufklärung vom Senat

Dem justizpolitischen Sprecher der Hamburger CDU, Richard Seelmaecker, reicht das nicht. Angesichts der schweren Vorwürfe fordert er von Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge. "Es wirkt so, als würden organisierte Drogenhändler in Fuhlsbüttel weiter ihren Geschäften nachgehen, sich ein schönes Leben machen und ansonsten alle Vorbereitungen dafür treffen, nach der Haft nahtlos dort weiter zu machen, wo sie aufgehört haben." Das könne nicht sein.

Ähnlich wie BDK-Mann Reinecke, spricht sich auch Seelmaecker dafür aus, in der JVA Fuhlsbüttel eine Art Polizei zu schaffen, die mit konkreten Ermittlungsbefugnissen ausgestattet ist. Kritik an der Justizsenatorin kommt auch von der justizpolitischen Sprecherin der Linken, Cansu Özdemir. Es dürfe nicht sein, dass "Gefangene krimineller aus dem Gefängnis kommen, als sie reingekommen sind". Um dies zu erreichen, brauche es gut qualifiziertes, verlässliches und vor allem mehr Personal. 

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Kronzeuge wird an unbekanntem Ort geschützt

Der Kronzeuge Jason B. erhält inzwischen aufgrund seiner Aussagen Drohungen in den sozialen Netzwerken. Diese liegen dem NDR vor. B. versteckt sich derzeit an einem unbekannten Ort. Nach Informationen des NDR hat das LKA inzwischen eine sogenannte Gefährderansprache mit einem der Häftlinge geführt, für die Jason B. Drogen ins Gefängnis geschmuggelt haben soll. Hierbei wurde der Häftling gewarnt, sich an Jason B. zu rächen. Insgesamt hat der Kronzeuge mit seinen Aussagen neun Straftäter belastet, die der Hamburger Organisierten Kriminalität zuzurechnen sind.

 

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, dass die Hamburger Polizei bei der Razzia auch in Gefängniszellen der JVA Fuhlsbüttel Kokain, synthetische Cannabis-Wirkstoffe und weitere Drogen gefunden hat. Das ist falsch. In den Zellen wurden keine Drogen gefunden! Die Redaktion bittet um Entschuldigung.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Norddeutschland kompakt | 10.05.2023 | 10:11 Uhr

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