Ein Mini-Roboter steht auf einem Tisch. Mithilfe des Roboters können Kinder aus dem Krankenhaus heraus am Schulunterricht teilnehmen.

Hamburg: Roboter Karlsson hilft schwer kranken Kindern

Stand: 01.12.2020 16:34 Uhr

Für sehr kranke Kinder ist es oft schwer, in der Schule dranzubleiben. Ein kleiner Roboter namens Karlsson bringt den Unterricht nach Hause und hilft, den Anschluss nicht zu verlieren.

von Anina Pommerenke

Wenn Kinder schwer an Krebs oder am Herzen erkranken, dann können sie oftmals über Monate oder gar Jahre nicht in die Schule gehen. Dabei verpassen sie nicht nur den Schulstoff, sondern auch den Anschluss an die Klassengemeinschaft. Das ist in den therapiebedingten Isolationsphasen oft besonders schlimm für die Kinder. In Deutschland gibt es mehr als 75.000 langzeitkranke Kinder. Für einige Patientinnen und Patienten des Kinderkrebszentrums am UKE in Hamburg gehen kleine Roboter stellvertretend für die Kinder in die Schule.

Niedlicher Roboter, der einiges leistet

Marie Seil ist 14 Jahre alt und geht in die neunte Klasse am Gymnasium Bleckede im Landkreis Lüneburg. Ihr Schultag beginnt morgens um acht zu Hause im Wohnzimmer am Tablet. Über eine App kann sie sich mit einem etwa 30 Zentimeter hohen Computer verbinden und so den Unterricht verfolgen. Der sogenannte Avatar hat eine glatte Oberfläche aus weißem Kunststoff und ähnelt mit Kopf, Hals und Torso dem menschlichen Oberkörper. Er ist mit Kamera, Mikrofon und Lautsprechern ausgestattet, sodass Marie sich zu Wort melden und an den Gesprächen im Klassenraum teilnehmen kann: "Zwei meiner Freunde in der Schule bauen den Avatar immer auf und ab kümmern sich darum, dass alles funktioniert. Und die Klasse passt immer ganz doll auf, dass niemand dagegen kommt, und der nicht vom Tisch fällt. Sie haben mich, also den Avatar, sogar mit aufs Klassenfoto genommen, als der Fotograf da war.

Wie im Science-Fiction-Film

Marie hat eine Leukämie-Erkrankung besiegt. Neun Monate hat sie wegen der Therapie den Unterricht verpasst, bevor sie den Avatar bekommen hat. Ein etwas holpriger Start - denn alle Schüler und Lehrer aus ihrer Klasse mussten eine Einverständniserklärung unterschreiben. Zwei ihrer ehemaligen Lehrer waren dagegen, sodass Marie erst zum aktuellen Schuljahr wieder einsteigen konnte: "Die Klasse war total aufgeregt, das hat man ganz schön gemerkt. Die Lehrer fanden es alle echt cool, meine Deutsch- und Englischlehrerin sagt immer, sie fühlt sich wie im Science-Fiction-Film, mit Robotern und so. Am Anfang war es mir etwas unangenehm mit dem Avatar zu sprechen, aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt."

Eine Lehrerin steht vor einer Tafel, ein Mini-Roboter steht vor ihr auf dem Tisch. Mithilfe der Übertragung durch den Roboter können Kinder aus dem Krankenhaus heraus am Schulunterricht teilnehmen.
Anja von Seth, Lehrerin am Gymnasium Altona hat auch schon mit einem Avatar in der Klasse gearbeitet.
Verlängerter Arm ins Klassenzimmer

Am Kinderkrebszentrum in Hamburg hat man in den vergangenen acht Jahren vieles ausprobiert, bevor man sich für die Technik aus Norwegen entschieden hat. Die Handhabung ist auf beiden Seiten schnell zu verstehen, die kranken Kinder können die Klasse sehen, werden aber selbst nicht gesehen. Die Avatare sind durchaus niedlich und können auf dem "Gesicht" sogar Emotionen zum Ausdruck bringen oder sich per LED-Signal melden. Außerdem kann Marie den Kopf bewegen und in verschiedene Richtungen schauen. Die Herstellerfirma garantiert allen Beteiligten Datenschutz, erklärt Maries Mutter Claudia. "Sobald Marie einen Screenshot oder eine Videoaufnahme machen würde, sperrt sich der. Das ist so eine Sicherheitsgeschichte. Ich finde ganz wichtig, dass die Lehrer wissen, dass man keinen Missbrauch damit betreiben kann."

Alle Seiten profitieren

Die Anschaffungskosten und die laufenden Servicegebühren für insgesamt 18 Geräte am UKE werden mithilfe von Spendengeldern der Fördergemeinschaft Kinderkrebs-Zentrum Hamburg und der Hamburger Schulbehörde finanziert. Medienpädagoge Gunnar Neuhaus vom UKE kümmert sich um den Kontakt mit den Schulen, stellt das Projekt dort vor, beantwortet Fragen und kümmert sich um eine gute Internetverbindung. An der scheitert der Einsatz des Avatars manchmal und das nicht nur auf dem Land. Ihm gefällt an dem Projekt besonders, dass durchaus die gesamte Klasse davon profitieren kann: "Die haben einfach ein großes Bedürfnis für den schwer kranken Schüler einen positiven Beitrag zu leisten. Über den Avatar fällt es eben doch sehr leicht. Über den Avatar entsteht dann eine positive, gestärkte Klassengemeinschaft." Marie gehört zu den wenigen Schülerinnen, die tatsächlich den gesamten Unterricht über den Avatar verfolgen. Sie hofft darauf, dass sie im April wieder in ihre alte Klasse zurückkehren kann. Der schulische Erfolg ist aber eigentlich nicht das Hauptziel des Projekts. Vielmehr soll den Familien nach äußerst kräftezehrenden Therapiemonaten, wieder etwas Struktur und Alltag zurückgegeben werden: "Wenn ich durch den Avatar in der Schule wieder dabei sein kann, hilft mir das, die Zeit zu vertreiben und wieder ein bisschen Normalität zu haben."

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 02.12.2020 | 08:00 Uhr

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