Mulmiges Gefühl auf dem Heimweg? Ihr seid nicht allein!
Die dunkle Jahreszeit ist da - und mit ihr viele Tage, an denen wir uns allein draußen im Dunkeln bewegen. Expertinnen und Experten erklären, wie wir uns nachts auf der Straße sicherer fühlen können.
#textmewhenyougethome - dieser Hashtag ist 2021 um die Welt gegangen. Sein Ursprung: der Fall der 33-jährigen Sarah, die in London die Wohnung einer Freundin verließ und sich auf den Weg nach Hause machte - wo sie allerdings nie ankam. Sarah wurde auf ihrem Heimweg entführt und anschließend getötet. Der Täter wurde später zu einer lebenslangen Haft verurteilt.
Sarahs Fall machte betroffen und sorgte dafür, dass viele Menschen ihre Erfahrungen im Netz teilten. Die Schilderungen zeigten: Viele kennen das mulmige Gefühl und die Angst auf dem Nachhauseweg zu späterer Stunde, bevor man in den eigenen vier Wänden angekommen ist und die Nachricht "Bin gut angekommen" an Freunde schicken kann - die Antwort auf "Schreib mir, wenn du zu Hause bist".
Wir haben mit Expertinnen und Experten gesprochen und gefragt, wie wir uns alle nachts auf der Straße sicherer fühlen können.
Hört auf euer eigenes Gefühl und Alarmsystem
Ira Morgan leitet Selbstbehauptungskurse. Im N-JOY Interview gibt sie Tipps, was ihr tun könnt, wenn ihr euch auf dem Heimweg unsicher fühlt.
Ganz wichtig sei es, auf euer eigenes Gefühl und euer Alarmsystem zu hören: Bemerkt ihr etwas, mit dem ihr euch unwohl fühlt, geht auf Abstand und schaut, wie ihr euch Hilfe holen könnt. Folgende Fragen könnt ihr euch Morgan zufolge in einer solchen Situation stellen:
- Gibt es die Möglichkeit, irgendwo zu klingeln?
- Habt ihr ein Handy dabei, sodass ihr jemanden anrufen könnt?
- Könnt ihr die Straßenseite wechseln?
- Könnt ihr jemanden ansprechen, der oder die vielleicht in der Nähe ist?
Sicher auftreten und klar kommunizieren
Wenn ihr nachts alleine unterwegs seid, rät der Präventionstrainer Stephan Genz von der Landespolizei in Schleswig-Holstein zusätzlich zu einem sicheren Auftreten:
Es hilft tatsächlich, wenn man sich groß macht, nicht zu Boden guckt, sich nicht zusammenduckt, sondern sich wirklich zu seiner vollen Größe aufrichtet. Stephan Genz im N-JOY Interview
Werdet ihr angesprochen, sollte eure Sprache laut, deutlich und klar formuliert sein. Dem Präventionscoach zufolge solltet ihr ganz unmissverständlich sagen, was ihr nicht wollt und was ihr wollt.
Wird das von eurem Gegenüber nicht akzeptiert und ihr werdet bedrängt, ist laut Genz fast alles erlaubt: "Dann wird geschrien, dann wird beschimpft. Kratzen, beißen, spucken, vielleicht nimmt man den Schlüssel in die Hand. Auf die Füße treten, vielleicht auch in die Weichteile treten. Und letztlich weglaufen." Das Ziel sollte sein, irgendwo hinzukommen, wo ihr telefonieren könnt.
Persönliche Art der Selbstverteidigung finden
Dabei sollte laut Morgan jeder schauen, wie seine ganz persönliche Art, sich zu verteidigen, aussieht:
Nur wenn ich von etwas überzeugt bin, wenn ich das Gefühl habe, das passt zu mir und kommt mir auch so über die Lippen, kommt es auch authentisch rüber und ist erfolgsversprechend. Ira Morgan, Selbstbehauptungscoach
Heimwegtelefon: Lasst euch telefonisch begleiten
Wenn ihr gerade keine Freundin oder keinen Freund erreicht, mit der oder dem ihr während des Heimwegs telefonieren könnt, könnt ihr auch das bereits erwähnte Heimwegtelefon anrufen. Dort kann sich jeder melden, der sich abends auf der Straße unwohl fühlt und sich gerne telefonisch begleiten lassen möchte.
Ob ihr unterwegs ein komisches Gefühl habt, im Dunkeln vielleicht durch einen Park oder eine Unterführung gehen müsst oder ob ihr längere Zeit an einem Bahnhof oder einer Bushaltestelle warten müsst: In all diesen Situationen könnt ihr das Heimwegtelefon anrufen, erklärt Conny Vogt, die selbst mit Betroffenen telefoniert.
Ruft ihr dort an, fragen euch Conny oder ihre ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen zunächst nach eurem aktuellen Standort und nach eurem Zielort. Mit Hilfe dieser Informationen lassen sie sich eure Route in einem Navigationssystem anzeigen.
Dann fangen wir ein ganz zwangloses Gespräch an, weil wir den Fokus natürlich auch ein bisschen weg von der Angst richten wollen, damit deine Körpersprache auf der Straße auch positives Selbstbewusstsein ausstrahlt. Conny Vogt, Vositzende des Vereins "Heimwegtelefon"
Wichtig ist, dass ihr nicht mehr beim Heimwegtelefon anruft, wenn die Gefahr schon akut ist, betont Conny Vogt. In einem solchen Fall solltet ihr sofort die Polizei rufen.
Das könnt ihr tun, damit sich andere sicherer fühlen
Kritiker betonen jedoch, dass viel darüber gesprochen wird, wie Betroffene ihr Verhalten ändern sollten. Sie fordern, dass auch das Umfeld mithilft - und zwar egal welchen Geschlechts.
Die britische Influencerin Lucy Mountain hat im Netz daher nach dem Mord an Sarah Everard dazu aufgerufen, Tipps zu geben, was wir alle tun können, damit andere sich sicherer fühlen. Die Tipps wurden anschließend auf verschiedenen Plattformen unter dem Hashtag #textmewhenyougethome gepostet und lassen sich wiefolgt zusammenfassen:
- Haltet Abstand zu anderen Personen und lauft nicht dicht hinter ihnen.
- Wenn ihr jemanden überholen möchtet, wechselt dafür die Straßenseite oder ...
- ... teilt euch mit, indem ihr zum Beispiel sagt: "Hallo, keine Sorge, ich gehe nur kurz an dir vorbei".
- Greift ein, wenn jemand in Gefahr ist - und sei es nur, dass ihr mit Sicherheitsabstand die Polizei ruft.