Stand: 02.11.2018 15:07 Uhr

Handy am Steuer: So viele riskieren ihr Leben

Über 105.000 Autos fahren jeden Tag an der Autobahnausfahrt Hannover-Bothfeld auf der A2 vorbei. Und jetzt stellt euch vor: Fast 14.000 dieser Autofahrer sind abgelenkt - etwa 8.900 beschäftigen sich dabei sogar mit ihrem Smartphone. Das legt eine Studie der TU Braunschweig nahe.

Mehr als 13 Prozent der fast 12.000 Autofahrer, die die Verkehrspsychologen in Braunschweig, Hannover und Berlin beobachtet haben, waren beim Fahren abgelenkt. In mehr als 8 Prozent der Fälle war ein Smartphone im Spiel - nicht nur zum Telefonieren (3,9 Prozent), sondern vor allem zum Schreiben und Lesen von Nachrichten (4,5 Prozent). Für die Forscher steht fest: Die Ablenkung durch Smartphones am Steuer ist in Deutschland ein großes Problem - und eine unterschätzte Gefahr.

Internationaler Vergleich

Im internationalen Vergleich nehmen deutsche Autofahrer das Handy besonders häufig in die Hand. Bei Studien in den USA und Australien wurden mit 2,5 Prozent deutlich weniger Fahrer beobachtet, die während der Fahrt Textnachrichten schreiben.

Smartphone-Nutzung taucht in Statistiken kaum auf

Das Besondere an der neuen Studie: Sie zeigt erstmals die hohe Smartphone-Nutzung im deutschen Straßenverkehr. Statistiken über den Zusammenhang von Unfällen und Smartphone-Nutzung führen nämlich nur Berlin, das Saarland und Nordrhein-Westfalen - und kommen mit nicht mal 0,1 Prozent auf eine überraschend geringe Zahl von Unfällen, in denen das Handy als Ursache nachgewiesen werden konnte.

Der Braunschweiger Verkehrspsychologe Prof. Dr. Mark Vollrath hält diese Zahl für nicht repräsentativ. Er hält die Erfassung durch die Polizei für lückenhaft. Auch der ADAC und das Allianz Zentrum für Technik (UZV) gehen von deutlich höheren Zahlen aus und schätzen, dass in Deutschland jeder zehnte Unfall auf die Handynutzung oder eine ähnliche Ablenkung zurückzuführen ist. Laut einer Umfrage von N-JOY und NDR Info halten fast alle 16 Bundesländer das Thema "Handy am Steuer" für gravierend - aber nur wenige Innenministerien konnten genaue Angaben zu Kontrollen in Sachen Handyverbot machen.

Ein Blick aufs Smartphone bedeutet 30 Meter Blindfahrt

Dass nur wenige Autofahrer das Handyverbot wirklich ernst nehmen, zeigt nicht nur die Studie aus Braunschweig. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2014 schreiben 41 Prozent der 18- bis 29-jährigen Autofahrer während der Fahrt Textnachrichten. Und das, obwohl drei Viertel der Autofahrer den Gebrauch vom Handy am Steuer für besonders gefährlich halten.

Das Logo der N-JOY Aktion "Kopf hoch. Das Handy kann warten." © NDR
Mit der Aktion "Kopf hoch. Das Handy kann warten" wollen wir auf die Gefahr von Smartphones am Steuer hinweisen.

Laut einer repräsentativen Umfrage der Allianz Versicherung aus dem Jahr 2016 berichten 60 Prozent der Fahrer, die in den vergangenen drei Jahren einen oder mehrere Autounfälle hatten, dass sie ihr Handy schon während der Fahrt benutzt haben. Bei Fahrern ohne Unfälle waren es nur 37 Prozent.

Laut Verkehrspsychologe Vollrath steigt das Unfallrisiko um das Sechs- bis Siebenfache, wenn das Handy an Bord ist. "Ich schau' doch nur ganz kurz" kann dabei keine Ausrede sein: Schon bei Tempo 50 legen wir innerhalb von zwei Sekunden mehr als die Länge eines Tennisplatzes zurück - wer in dieser Zeit aufs Handy schaut, ist 30 Meter blind unterwegs. Wer bei 100 km/h fünf Sekunden aufs Smartphone schaut, durchfährt blind mehr als die Länge eines Fußballfeldes.

Wahrnehmung
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Unser Gehirn ist mit der Vielzahl an Eindrücken überfordert

Stellt euch vor: Ihr seid im Stadtverkehr unterwegs. Ihr seht einen Radfahrer. Vor euch fährt ein Cabrio mit einer hübschen Frau. Ihr werft einen Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige: 60 km/h. In dem Moment kommt übers Radio eine Blitzerwarnung, ihr bremst. Genau in diesem Moment klingelt euer Handy. Außerdem schaltet die Ampel gerade auf grün, ihr biegt ab. Es rummst - denn was ihr längst vergessen habt, ist eure erste Wahrnehmung: der Radfahrer. Udo Weiss, Polizeidirektion Münster

So versucht Udo Weiss, leitender Direktor der Polizeidirektion Münster, uns die gefährliche Ablenkung im Verkehr zu erklären. "Unser Gehirn ist nur in der Lage, sechs einzelne kleine Sachverhalte aufzunehmen und zu verarbeiten. Der erste Sachverhalt wird automatisch gelöscht."

Außerdem konzentriert sich das Gehirn grundsätzlich auf eine Haupttätigkeit. So hat beispielsweise das Schreiben oder Verstehen von Text Vorrang vor visuellen Inhalten - also vor dem, was auf der Straße passiert. Die Folge: Während der Fahrt zu schreiben und zu lesen, kann lebensgefährlich sein - nicht nur für euch selbst, sondern auch für andere Verkehrsteilnehmer.

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Auch Radfahrer und Fußgänger sind gefährdet

Das Handyverbot am Steuer gilt nicht nur für Autofahrer - auch Fahrradfahrer müssen mit einer Strafe rechnen. Auch Fußgänger scheinen die Gefahr durch das Smartphone im Straßenverkehr zu unterschätzen: Laut einer Erhebung der "Dekra" sind bis zu 17 Prozent der Fußgänger vom Smartphone abgelenkt, während sie eine Straße überqueren. Acht Prozent der Fußgänger tippen dabei auf ihrem Handy rum. Bei den 25- bis 35-Jährigen sind es sogar 22 Prozent.

Präventionsprogramme wollen abschrecken und aufklären

Zahlreiche Präventionsprogramme wie der "CrashKurs MV" der Polizei Mecklenburg-Vorpommern oder die niedersächsische Aktion "Tippen tötet" versuchen, Autofahrer vor den großen Gefahren der Handynutzung im Straßenverkehr zu warnen. Gleichzeitig zeigen erschreckende Videos wie das der "AAA Foundation" oder bewegende Dokumentationen wie die von Werner Herzog, wie sich die Ablenkung auf den Fahrstil auswirkt - und sogar Leben zerstören kann. Am Ende sind es die Fahrer selbst, die sich entscheiden müssen: Handy oder Auto? Beides geht nicht. Wir sagen: Kopf hoch. Das Handy kann warten.

 

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Dieses Thema im Programm:

N-JOY | 05.11.2018 | 06:00 Uhr