Kolumne: "Nicht hübsch - wunderbar gemacht"
Schönheitsideale sind eine Lust- und Spaßbremse. Susanne Richter kämpft sich an ihren Oberschenkeln ab und findet bei ihrer Großmutter und einem Bibelvers eine wichtige Erkenntnis.
Auch als Pastorin möchte ich keine Dellen an den Oberschenkeln haben. Ist so. Da helfen schlaue Sprüche auch nicht. "Gott, ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin" - mit dem Psalm 139 komme ich ansonsten ja auch gerne. Aber wenn ich mir meine Beine jetzt angucke, komme ich ins Zweifeln. Vielleicht doch nicht die Bikini-Hose?! Dabei scheint die Sonne und ich könnte doch jetzt wunderbar den Rasensprenger anmachen und mit den Kids eine Wasserschlacht machen.
"Für Schönheitsideale war sie sich zu wichtig"
Während ich noch so zögere, wächst langsam ein neues Gefühl in mir dazu heran: Ärger. Und zwar nicht auf mein Bindegewebe, sondern auf meine Spaß-annullierende Einstellung. Hätte ich gar nicht gedacht von mir. Eigentlich bin ich ganz anders groß geworden. Meine Großmutter hat mit uns Kindern bis ins hohe Alter im Bikini am Strand gespielt. Sie war klein und rund und hatte einige Narben von einer Krebsoperation. Aber für Schönheitsideale war sie sich zu wichtig. Sie hatte einen Doktortitel in Atomphysik und sieben Enkelkinder zu bestricken und zu bekochen.
"Koste doch mal. Köstlich!", hat sie gesagt, wenn ich meinen Kopf zu ihr in die Küche gesteckt habe. Ich glaube, meine Großmutter hat das Leben ausgekostet. Ich habe sie sehr geliebt. Sie war klug, warm und weich und hat so gut geduftet: Wunderbar!
Im Psalm ist von "wunderbar" die Rede - nicht von "hübsch"
"Wunderbar" steht übrigens auch in dem Psalm. Von "hübsch" ist da nicht die Rede! Wird mir erst jetzt bewusst. "Wunderbar sind Deine Werke und wunderbar bin ich", steht da. Und als ich dann im Bikini auf der Kinderschaukel durch den Wassersprenger sause, nehme ich meine Großmutter innerlich mit. Es prickelt kühl auf der Haut, die Sonne wärmt von hinten meinen Nacken. Und in diesem Moment ist es tatsächlich so: wunderbar.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.