Kolumne: "Kleine Brötchen im Advent"
Advent, Weihnachten, Dekowahn: Susanne Richter hat keine Lust mehr auf adventliche Überforderung. Das "Fest der Liebe" als Zielsetzung ist zu viel für sie. Stattdessen probiert sie es mit Humor und Mitgefühl.
Im Advent erleide ich jedes Jahr dieselbe innere Eskalations-Spirale: Ich beschließe dieses Jahr alles ganz entspannt und friedlich anzugehen, ich sehe irgendwo hübsche Deko, ermahne mich, dass ich nichts Neues kaufen sollte, kaufe doch, merke, dass ich gar keinen Platz habe, beschließe, dass ich ausmisten muss, werde nervös, motze meine Familie an, mache mir klar, dass es Wichtigeres im Advent gibt als schön dekorierte Wohnzimmer und Vorgärten, und beschließe dann, dass Familienfrieden doch meine adventliche Zielsetzung sein sollte.
Advent und Weihnachten überfordert viele Menschen
Und das ist ein fataler Fehler! Denn es gibt kaum etwas, mit dem man sich schneller in die emotionale Überforderung treiben kann. Dieses Jahr habe ich es nicht so weit kommen lassen. Schon bevor der Advent richtig angefangen hat, ist mir der Erkenntnisblitz gekommen: Weihnachten als "Fest der Liebe" - das ist dieses Jahr definitiv zu viel für mich. Und für die meisten um mich herum auch. Wohin ich gucke: Überall sehe ich nur Leute, die sowieso schon überfordert sind. Inflationsgebeutelt, weltpolitisch frustriert, Klimakrise-aktiv-verdrängend. Viele in der Rushhour des Lebens, ständig angespannt eben. Die Suche nach passender Weihnachtsdeko ist dabei wirklich ein harmloser Stressfaktor.
Mitgefühl und Humor statt großer Liebe
Das Ideal eines "Fests der Liebe" dagegen wird zielsicher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der Anspruch ist zu hoch! So viel innere Wärme und Präsenz traue ich unserem Herrgott zu, vielen von uns aber grrade nicht. Mein Vorschlag darum für alle Betroffenen: Lasst uns dieses Jahr kleine Brötchen backen. Statt mit der großen Liebe probieren wir es doch lieber mit den kleinen Geschwistern Mitgefühl und Humor. Die brauchen wir nicht nur im Umgang mit unseren Mitmenschen, sondern auch mit uns selbst. Ein warmer Blick auf das eigene äußere und innere Chaos macht wunderbar milde. Und Humor birgt jede Menge Erlösungspotential in sich.
Manchmal stelle ich mir dabei vor, wie Gott mir mütterlich den Arm um die Schulter legt und mir aufmunternd in die Seite knufft. Und damit gehe ich dann tatsächlich einen Hauch getröstet raus in die Welt und in diese Adventszeit.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastor:innen und Redakteur:innen ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.