Kolumne: "Hinsehen"
Erneut sind im Iran zwei Männer hingerichtet worden. Sie hatten an Demonstrationen gegen das iranische Regime teilgenommen. Politiker und Aktivisten haben mit Entsetzen auf die sinnlosen Hinrichtungen reagiert.
"Papa, mein Urteil ist Hinrichtung. Aber sag es Mama nicht." So soll der Iraner Mohammad Mehdi Karami seinem Vater im Dezember von seinem Todesurteil erzählt haben. In der vergangenen Woche wurde Karami hingerichtet. Er war 22 Jahre alt. Am selben Tag starb auch Seyed Mohammad Hosseini. Der 39-Jährige hatte keine Angehörigen, aber er sei "ein Freund aller Güte in dieser Welt". Das soll er in einem Abschiedsbrief geschrieben haben.
Es gibt keine fairen Prozesse im Iran
Was in diesen Tagen an Nachrichten aus dem Iran zu uns dringt, treibt mir die Tränen in die Augen. Ein Regime tötet seine Kinder. Als Abschreckung, Einschüchterung. Um die eigene Macht zu erhalten. Und mit dem Verweis auf den vermeintlichen Straftatbestand "Krieg gegen Gott" wird noch versucht, dem Ganzen einen religiösen Anstrich zu verpassen. Es sind schon so viele Menschen während der Proteste im Iran umgekommen. Oder sie wurden festgenommen und sitzen jetzt im Gefängnis. Faire Prozesse wird es nicht geben. Einige erwarten bald ihr Strafurteil, manche danach den Tod. Angesichts dieses Unrechts fühle ich mich ohnmächtig und wütend.
Einsatz für Menschenrechte und gegen die Todesstrafe
Die Jahreslosung, das biblische Motto für das noch junge Jahr 2023 lautet: "Du bist ein Gott, der mich sieht." Ein tröstliches Wort für alle Leidenden. Ich höre den Satz aus dem Alten Testament aber auch als Ermutigung. Dieses "Sehen", das ist eine Aufgabe auch für uns. Wahrnehmen, wo anderen Menschen Unrecht angetan wird - und dann nicht gleichgültig bleiben. Denn ich glaube fest, dass wir als Menschheitsfamilie zusammengehören. Es wird erst heller, wenn wir uns und einander als "Familienmitglieder" erkennen und verstehen.
Deshalb will ich mich einsetzen gegen die Todesstrafe - weltweit. Nicht müde werden, den Schutz der Menschenrechte einzufordern. Oder auch Briefe an zu Unrecht Inhaftierte senden, um ihnen - und damit auch den Behörden - zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Dass ich sie sehe.
Und heute trauere ich mit um Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini. Mögen sie jetzt aufgehoben sein in Gottes Hand.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.