Das Bild zeigt die Prozedur des japanischen Kintsugi, einer traditronellen Reparaturmethode von Porzellan und Keramik. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Kentaro Aoyama

Kintsugi: "Das Gebrochene sichtbar und schön machen"

Stand: 26.11.2024 12:30 Uhr

Haben Sie schon mal von Kintsugi gehört? Kintsugi ist Japanisch und heißt so viel wie Goldreparatur. Wenn eine wertvolle Keramikschale zerbricht, wird sie wieder zusammengeflickt.

von Pastorin Julia Atze

Aber im Kintsugi werden die Scherben nicht möglichst unauffällig geklebt. Die Risse sollen sichtbar bleiben. Deshalb werden die Bruchstellen nicht nur mit Kitt und Lack, sondern auch mit Goldstaub zusammengefügt. So werden aus geflickten, reparierten Schüsseln neue Kunstwerke mit goldenen Linien.

Michel: Verankerung aus Stahlträgern stabilisiert den Turm

Kintsugi: Gebrochenes, Kaputtes sichtbar reparieren und dadurch besonders machen - daran musste ich denken, als mein Kollege Hauptpastor Alexander Röder vor ein paar Tagen der Presse erzählte, dass der Michel Risse im Turm hat. Wie bei einer Keramikschale, die heruntergefallen ist, müssen diese Risse geflickt werden. Und wie beim Kintsugi wird man die Reparaturen sehen - zwar nicht so sehr von außen, aber innen: Eine Verankerung aus Stahlträgern wird in die unteren Turmböden eingebaut. Sie sollen den Turm zusammenhalten.

Kintsugi: "Das Gebrochene sichtbar und schön machen"

Ich kann mir noch nicht so richtig vorstellen, wie das dann aussieht, aber ich bin mir sicher: Es wird dem Michel nichts von seiner Schönheit nehmen. Auch jetzt sieht man schon Spuren, die darauf hinweisen: Der Michel hat schon so einiges durchgemacht und überstanden. Zwei große Brände, Krieg und Bombenhagel, Wind und Wetter. Das alles hinterlässt Spuren. Ich finde, diese Spuren darf man auch sehen. Darum gefällt mir Kintsugi auch so gut: das Kaputte und Gebrochene sichtbar und schön machen, nicht verstecken oder entsorgen.

"Risse machen mich nicht schwächer, sondern stärker"

So geht es mir nämlich auch mit den Rissen und Brüchen in meinem Leben: ich kann und will sie nicht verstecken, sie gehören zu mir. Sie machen mich nicht schwächer, sondern stärker. Und manchmal lassen sie sich auch vergolden und glänzen, zum Beispiel mit einem Vers aus dem 139. Psalm: "Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | 27.11.2024 | 10:40 Uhr

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