Vorschläge gegen Lehrermangel: "Wir sprechen über Zumutungen"
Die Ideen gegen Lehrkräftemangel der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz sind auf viel Kritik gestoßen. Ein Gespräch darüber mit der Göttinger Professorin Susan Seeber.
Frau Seeber, Sie sind Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. Ein Vorschlag der Kommission ist mehr Vollzeit und weniger Teilzeit bei Lehrkräften. Wie begründen Sie das?
Susan Seeber: Ich müsste vielleicht kurz zum Hintergrund sagen, dass wir als Ständige Wissenschaftliche Kommission gerade ein Gutachten zur Aus- und Fortbildung von Lehrern anfertigen. Die Kultusministerkonferenz hat uns nun gebeten, aufgrund dieser akuten Situation des Lehrkräftemangels Vorschläge für die Unterrichtsversorgung in der nächsten Zeit zu machen. Ein Vorschlag ist, dass Lehrkräfte ihre Teilzeitstunden erhöhen oder gar Vollzeit arbeiten. An den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen arbeiten 47 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit. Unsere Überlegung war, mit diesen Lehrkräften zu sprechen, ob sie vielleicht moderat ihre Stunden erhöhen können. Da hätte man schon ziemlich viel an zusätzlichen Lehrkräften gewonnen. Dann wäre das Problem der Unterrichtsversorgung nicht mehr ganz so hoch. Aber eine einzelne Maßnahme hilft nicht. Wir haben eine Situation, in der wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen brauchen.
Haben Sie auch untersucht, wie die Bereitschaft bei Lehrkräften ist, ihre Teilzeitstellen auf Vollzeit- oder Dreiviertel-Stellen zu erhöhen? Gibt es dazu schon Statistiken und Daten?
Seeber: Nein, das wird bisher in den Bundesländern sehr individuell gehandhabt. In einigen Ländern wird mit Lehrkräften gesprochen, die ein relativ geringes Stundenvolumen haben, ob sie bereit wären, zu erhöhen. Der beziehungsweise die eine oder andere wäre bereit, aber vielleicht nicht nur mit der entsprechenden Bezahlung, sondern mit zusätzlichen Maßnahmen zur Entlastung, beispielsweise von administrativen Tätigkeiten. Häufig geht man ja in Teilzeit aus gewichtigen Gründen, familiäre Angelegenheiten oder auch, weil man die Belastungen im Beruf als relativ hoch empfindet. Und man weiß schon, dass Lehrkräfte auch viele unterrichtsfremde Tätigkeiten haben, von denen sie sich belastet fühlen. Da könnte man gegensteuern.
Weniger Verwaltungsaufgaben für Lehrkräfte und mehr pädagogische und studentische Hilfskräfte sind nur einige Vorschläge der Kommission. Das hieße aber, der Staat müsste auch mehr Geld in die Hand nehmen, um neue Stellen zu schaffen.
Seeber: Das ist keine Frage, dass man Geld in die Hand nehmen muss. Die Vorschläge, die wir jetzt unterbreitet haben, sind nicht zum Nulltarif zu haben, das ist völlig klar. Egal, ob es die Erhöhung des Stundenumfangs ist, Pensionäre als Lehrkräfte wiederzugewinnen für einen stundenweisen Einsatz oder Hilfskräfte oder zusätzliches administratives Personal. Das kostet natürlich zusätzliches Geld. Es sind aber Chancen, dass man mit dem Problem und der akuten Situation halbwegs gut umgehen und vor allem qualitativ hochwertigen Unterricht sicherstellen kann. Das muss ja das Hauptziel sein.
Lehrkräfte haben ja sehr viele Aufgaben, müssen neben dem Unterricht Konzepte erstellen oder die Inklusion voranbringen. Also wenn schon so viel Druck im System ist, ist es dann überhaupt der richtige Ansatz, noch mehr Druck hinein zu geben, indem man sagt: So, jetzt bitte noch mehr arbeiten?
Seeber: Das ist sicherlich richtig. Uns ist völlig klar, dass wir da Zumutungen aussprechen für die Lehrkräfte. Aber im Gegenzug steht dann natürlich, dass wir die Schülerinnen und Schüler mit qualitativ gutem Unterricht versorgen müssen. Wir kommen aus drei Jahren Pandemie. Es ist fast alternativlos, den Unterricht nach Möglichkeit mit qualifizierten Lehrkräften sicherzustellen. Die Lernrückstände in der Pandemie haben deutlich zugenommen. Das haben die letzten IQB-Bildungstrends gezeigt. Und eigentlich können wir es uns nicht leisten, eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern mit nicht gutem Unterricht zu versorgen. Gerade auch lernschwächere Schüler sind darauf angewiesen. Insofern ist klar, wir geben zusätzlichen Druck ins System. Aber wir versuchen auch mit den Maßnahmen, die wir vorschlagen, wieder ein bisschen Druck raus zu nehmen. Es gibt Untersuchungen, dass zum Beispiel Lehramtsstudierende gar nicht so viel schlechter Vorkorrekturen von Klassenarbeiten erledigen als Lehrkräfte. Da braucht man natürlich eine gute Abstimmung und Vorbereitung, aber das lässt sich machen.
Ein weiterer Vorschlag sind größere Klassen. Wie groß sollen denn die Klassen werden? Und wie wirkt sich das dann auf die Qualität des Unterrichts aus?
Seeber: Das ist wirklich ein heikles und auch sehr umstrittenes Thema, da es auch keine eindeutige Evidenz aus der Forschung bisher gibt. Wir haben Studien, die durchaus nahelegen, dass kleinere Klassen effektiver sind für die Schülerinnen und Schüler, insbesondere bei Schülerinnen und Schülern mit diversen Benachteiligungen, die auch weniger Unterstützung im Elternhaus haben. Es gibt wieder andere Studien, die einen so klaren, eindeutigen Effekt nicht belegen. Klassenzusammenlegungen sind nicht neu: Ich kenne das aus dem berufsbildenden Bereich, ein Teil der Jugendlichen bricht die Ausbildung ab und dann wird natürlich schon praktiziert, dass zum Beispiel drei Klassen zu zwei Klassen zusammengelegt werden. Und solche Modelle schlagen wir vor, das sollte konsequenter überprüft werden. Es geht jetzt nicht darum, dass wir Schulklassen mit 50 Schülerinnen und Schülern haben.
Stichwort ausgedünnte Lehrpläne: Sie schlagen vor, das nicht in den Fächern Deutsch und Mathematik zu machen, wegen wichtiger Kernkompetenzen. Aber wo sehen Sie denn Potenzial, Lehrpläne auszudünnen?
Seeber: Also ehrlich gesagt, das sollte allenfalls die Ultima Ratio sein, dass man an die Stundentafeln herangeht und reduziert. Und wenn man zu einer solchen Maßnahme greifen muss, weil anders die Unterrichtsversorgung nicht mehr sicherzustellen ist, dann ist es tatsächlich unsere Empfehlung, insbesondere die Kernfächer und die Fächer, in denen Schülerinnen und Schüler auch Lernrückstände haben, in jedem Fall abzusichern.
Die Vorschläge der Kommission haben für viel Kritik gesorgt. Haben Sie damit gerechnet?
Seeber: Wir haben mit viel Gegenwind gerechnet. Es ist vielleicht auch ganz gut, dass diese Diskussion dazu führt, dass genauer geguckt wird, wo Lehrkräfte mit vielen Aufgaben belastet werden, die wenig mit Unterricht und wenig mit der Arbeit mit Schülern zu tun haben. Also dass man insgesamt auch die Lehrerarbeit wieder auf Kernbereiche zurückführt. Darin könnte ja auch eine Chance liegen.
Das Interview führte Wieland Gabcke.