Wie Journalisten mit Twitter umgehen
Robin Alexander weiß, welche Dynamik der Austausch von Politikern und Journalisten auf Twitter entwickeln kann. Der Parlamentskorrespondent der "Welt" wirkt mit seinen Tweets mitunter sogar in laufende Fraktionssitzungen hinein. Bei diesem Thema erinnert er sich gerne an den 14. Juni 2018. Damals eskalierte, getrieben von Horst Seehofer, in der Union der Streit in der Asylpolitik. Die Abgeordneten von CDU und CSU, die sonst eine gemeinsame Fraktion bilden, tagten getrennt. Robin Alexander wartete mit vielen Kollegen vor den Sitzungsräumen im Bundestag auf Ergebnisse - Journalisten waren dort außen vor.
Alexander hatte jedoch seine Quellen unter den Abgeordneten und twitterte praktisch live, was hinter den verschlossenen Türen passierte - was Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Annegret Kramp-Karrenbauer in dem einen Saal sagten und Horst Seehofer im anderen. Am Ende der Sitzung strömten die Politiker aus den Sälen heraus. "Und da sah mich Seehofer und sprach mich an", berichtet Alexander. "Er hatte sich über die parallel laufende Sitzung der CDU über meine Tweets informiert. Und Seehofer hat mich dann gerügt: Was lassen Sie sich da erzählen?"
"Transporteur immer, Akteur nie"
Diese Anekdote, die der Journalist nicht ohne Stolz erzählt, zeigt, wie heikel das Instrument Twitter vor allem in der Hauptstadtblase ist. War Alexander bloß Transporteur oder vielleicht schon selbst Akteur? Er selbst sagt "Transporteur immer, Akteur nie" und verweist darauf, dass Onlinemedien schon immer live tickerten und dafür von Abgeordneten mit Interna versorgt würden.
Gleichwohl: das Instrument Twitter bringt zunehmend Tempo in die Debatten. Von den Bundestagsabgeordneten twittern etwa drei von vier - mehr als 500 (eine Liste aller twitternden MdB pflegt Social-Media-Berater Martin Fuchs hier). Ebenso fleißig sind viele Berichterstatter auf der Plattform unterwegs. Wie wichtig dieser Informationskanal ist, zeigt ein Besuch im Newsroom der Deutschen Presseagentur.
"Im Blick haben, wenn einer ausrutscht"
Bei der dpa, die so etwas wie die zentrale Nachrichtenfabrik der deutschen Medien ist, haben die Journalisten Twitter ständig auf einem Monitor im Blick. Sie halten Ausschau nach Neuigkeiten aus Sport und Prominenz und bei Anschlägen oder Katastrophen auch nach Material von Augenzeugen. Im Alltag schauen sie aber vor allem auch nach persönlichen Statements und Kommentaren hiesiger Politiker.
"Man muss es verfolgen und im Blick haben, wenn einer ausrutscht", sagt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann. "Robert Habeck war das jüngste prominente Beispiel. Es gibt aber eine ganze Menge davon." Besonders Exklusives komme allerdings aus dem Weißen Haus: "Wir haben eine Schicht eingerichtet, die heißt 'Er ist wach' und beobachten, was der Präsident der Vereinigten Staaten twittert."
Bequemlichkeit vor echter Recherche?
Sascha Hölig vom Hans-Bredow-Institut warnt indes vor einer Twitter-Blase. Vor allem in Deutschland seien dort Politiker und Journalisten weitgehend unter sich. "Das kann zum Problem werden dadurch, das wir wissen, dass insbesondere Journalisten Twitter als Quelle der Recherche nutzen und als Inspiration dafür, welche Themen interessant sind und wie über sie gesprochen wird", sagt Hölig. "Es ist natürlich bequem, sich an den Rechner zu setzen und zu schauen, was passiert."
Hinzu komme das Risiko der ständigen Zuspitzung und Empörung. Analysen zeigten, dass auf Twitter vor allem kommuniziert, wer fern der politischen Mitte sei. Sind Debatten auf Twitter radikaler als im realen Leben? "Ja, kann man durchaus so sagen", sagt Hölig. "An den rechten und linken Rändern sind die Meinungen halt deutlich polarisierter."
Springer-Chef rät zu "allergrößter Zurückhaltung"
Zu Habeck, aber auch zu #nazisraus sagten viele Journalisten ihre Meinung. Mathias Döpfner, der Chef des Axel-Springer-Konzerns, hat dazu nun klar Position bezogen. Im Interview mit dpa-Chefredakteur Gösmann riet er Journalisten in den sozialen Medien jenseits der Recherche zu "allergrößter Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommener Enthaltsamkeit".
"Welt"-Journalist Alexander sagt, dass dieser Ratschlag von seiner Konzernspitze "nix" mit ihm mache: "Ich berichte über Neuigkeiten aus dem politischen Berlin auf allen mir erreichbaren Kanälen." Tatsächlich hatte seine Zeitung damals seine Tweets aus der Fraktionsebene sogar auf der Titelseite gedruckt. "Das erscheint mir keine Missfallensbekundung gewesen zu sein."
dpa-Chefredakteur Gösmann findet Zurückhaltung bei persönlichen Meinungsäußerungen auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken auch gut, wünscht sich aber, dass Journalisten durchaus zeigen und erklären, was sie tun. Im Alltag setzt er auf gezielte Entschleunigung bei strittigen Einträgen im Netz: dpa will künftig mit ihren Kollegen bei Onlineportalen, Sendern und Zeitungen in einem Chat diskutieren und erst dann - vielleicht - im eigentlichen News-Ticker berichten.