Ungereimtheiten bei "Menschen hautnah"
Seit über einer Woche beschäftigen die Unstimmigkeiten in drei Dokumentationen der WDR-Reihe "Menschen hautnah" Zuschauer und Journalisten. Inzwischen steht ein ganzes Format auf dem Prüfstand.
Ungereimtheiten bei "Menschen hautnah"
In drei Filmen der Reihe, die Menschen und ihre Schicksale zeigen will "so wie sie sind" - authentisch und nah an den Protagonisten, sind offensichtliche Fehler aufgetaucht. Aufgefallen war es, weil in allen drei Produktionen dieselben Protagonisten auftauchten: In einer Langzeitbeobachtung hatte eine Autorin ein Paar begleitet. Vor allem die Frau stand im Zentrum dieser Filme. Im ersten als die Geliebte eines verheirateten Mannes, im zweiten kehrt sie aus dieser Beziehung zurück zu ihrem Ehemann, im dritten dann geht es um "Ehe aus Vernunft". Auffällig: Im direkten Vergleich widersprechen sich Altersangaben sowie Angaben zur Dauer der Ehe, auch tauchen die Protagonisten mal unter ihrem wahren, mal unter einem fiktiven Namen auf, ohne dass dieses immer kenntlich gemacht wird.
ZAPP gegenüber erzählt Martina Selke, die Frau aus den Filmen: "Ich habe mir gedacht, das wird die Autorin oder das werden die Redakteure schon irgendwie merken. Wenn was nicht passt, werden die nochmal fragen." Doch erst ein junger Journalist machte via Twitter auf diese Unstimmigkeiten aufmerksam und der WDR reagierte schnell. Eine interne Prüfung begann, die zu weiteren Problemen führte.
Prüfen, ob Geschichten stimmen
Zwei der Personen fand die Autorin auf der Plattform "Komparse.de". Anders, als der Name auf den ersten Blick vermuten lässt, finden sich auf dieser Seite auch Protagonisten für Dokumentationen oder Magazinbeiträge. Produktionsfirmen und Autoren suchen hier also sowohl Kleindarsteller, Teilnehmer für Quizshows, Tester für Verbrauchermagazine, als auch Protagonisten für "wahre Geschichten". Das Problem: Wer an solchen Drehs teilnimmt, bekommt eine Aufwandsentschädigung. Man muss sich als Autor oder Produktionsfirma also darüber im Klaren sein, dass es auch finanzielle Interessen geben könnte, die Protagonisten auf dieser Seite dazu bringen ihre Geschichte zu erzählen. Umso mehr muss man prüfen, ob deren Geschichte stimmt. Und das ist schwierig, da es ja meist um weiche, emotionale Themen geht, bei denen ein klassischer Fakten-Check nicht greift.
Die Geschichten, die nun beim WDR untersucht werden, scheinen zu stimmen. Das Problem ist ein anderes, wie Ellen Ehni, Fernsehchefredakteurin des WDR , ZAPP in einem Interview erläutert: "Faktencheck ist schwierig, trotzdem haben wir bei Sichtung des Drehmaterials festgestellt, dass Inhalte aus diesem Interview in unzulässiger Weise zugespitzt worden sind, dass also das Gefühlsleben des Paares nicht angemessen dargestellt worden ist."
Arbeitsweise "inakzeptabel"
Dabei geht es um den Fall von Sascha Mahlberg. Schon kurz nach der Ausstrahlung des dritten Filmes, in dem er mit seiner Frau aus Beispiel für "Ehe aus Vernunft" auftritt, kamen auf Social Media Zweifel an seiner Geschichte auf. Denn der Straßenreiniger aus Bonn ist im Fernsehen kein Unbekannter: In Dutzenden Shows, Scripted-Reality-Formaten, Fernsehbeiträgen und Videos ist der Mann seit Jahren immer wieder zu sehen. Freimütig hat er sich mit seinen "zwei Leben" nicht nur in der "Zeit" porträtieren lassen. Auch er ist in diversen Agenturen vermerkt, hat auf die Annonce der Autorin reagiert. Ein weiteres Problem für ein Format, das von authentischen Menschen lebt.
Der WDR sieht die Hauptschuld für die Probleme bei der Autorin. Diese habe bei "Komparse.de" gesucht ohne die Redaktion zu informieren und dann ohne Wissen der Redaktion die Geschichte unangemessen dargestellt. Als Konsequenz erklärt der Sender, die Autorin zukünftig nicht mehr beschäftigen zu wollen. Die Arbeitsweise sei "inakzeptabel", so Ellen Ehni, "das war ein Vertrauensbruch mit dieser Autorin". Doch diese sieht sich nicht alleine in der Pflicht. ZAPP hat mit ihr gesprochen, ein Interview geben oder schriftlich Fragen beantworten möchte sie aber nicht mehr. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) weist sie jedoch darauf hin, sie hätte nicht gewusst, dass man Protagonisten nicht über einen Aufruf bei "Komparse.de" suchen dürfe und fühle sich nicht alleine verantwortlich, sondern auch die Redaktion. Chefredakteurin Ellen Ehni sieht dort Fehler vor allem in der Darstellung: Keine Klarstellung der unterschiedlichen Namen, der unterlassene Hinweis, man habe das Paar schon in anderen Dokumentationen begleitet, seien redaktionelle Versäumnisse. Ansonsten sei man in der Prüfung, wolle aber an der Redakteurin festhalten. Diese hatte alle drei Filme der Autorin betreut.
Mehr Kommunikation, weniger Fehlerquellen
Jetzt will der WDR zusätzliche Kontrollmechanismen einziehen, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Eine Suche nach Protagonisten über "Komparse.de" soll zukünftig ausgeschlossen, das Vier-Augen-Prinzip ausgeweitet, die Protagonisten und sämtliche Interviews gegengecheckt werden.
Mehr Kontrolle, weniger Vertrauen - das scheint der Weg, den man bei "Menschen hautnah" gehen will. Untereinander mehr zu sprechen ist aber sicherlich auch gut - die Autoren mit den Protagonisten, aber vor allem auch die Redaktion mit den Autoren.