Spanischer Rundfunk: Aufstand der eigenen Journalisten
Die Informationschefin des spanischen Fernsehens wirkt aufgebracht, als sie mit ZAPP telefoniert. Und dazu hat Carmen Sastre auch allen Grund: Wer freitags ihren Sender Televisión Española (TVE) einschaltet, sieht viele schwarz gekleidete Journalisten. Sie tragen Trauer - aus Protest gegen ihren eigenen Sender.
Schon seit mehreren Wochen inszenieren etliche Moderatoren, Korrespondenten und Reporter einen "schwarzen Freitag" (#viernesnegro) - und präsentieren das Live-Programm schwarz gekleidet. Damit demonstrieren sie für eine unabhängigere Berichterstattung bei ihrem steuerfinanzierten Rundfunk RTVE und fordern eine Reform ihres Senders, zu dem Radio (RNE), Fernsehen (TVE) und ein Online-Portal (RTVE.es) gehören.
Ana Blanco in schwarz
Am 18.05.2018 hatte der Protest einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, als auch Starmoderatorin Ana Blanco die abendlichen Hauptnachrichten in Schwarz präsentierte. Blanco ist eine Institution bei TVE: Junge Spanier kennen die Nachrichten nur mit Anchorfrau Blanco. Ihr Protest hat auch deshalb Gewicht. Sie ist, verglichen mit dem deutschen Fernsehen, in etwa so bekannt wie der ZDF-Journalist Claus Kleber. Auch Orchester und Chor des Senders sind auf Fotos vom Freitag in Schwarz bei einer Probe zu sehen.
Interne Kritik: "schlechte Standards" und "Zensur"
"Auf den Fluren begegnet man jetzt jeden Freitag auch Technikern, Maskenbildnern und Kameraleuten schwarz gekleidet", erzählt Gabriel López vom Redakteursausschuss, einem internen Kontrollgremium des Senders. Ein schönes Gefühl sei das. Es fühle sich so an, meint López, dass fast alle an einem Strang ziehen. Dabei schwingt in Lopéz‘ Stimme Genugtuung mit.
Die Proteste weiten sich seit Wochen aus. Aus Sicht des Redakteursausschusses ein Erfolg. Schon seit Monaten kritisiert das interne Kontrollgremium den öffentlichen Sender und legte seitenweise Beispiele über "schlechte Standards" vor - Beispiele, die "Zensur" und "Manipulation" belegen sollen (ZAPP berichtete).
Berichterstattung zugunsten der Regierung?
Ein Beispiel aus dem TVE-Studio Valencia: Die Redakteure dort wollten im Regionalprogramm jüngst ein Video zeigen, in dem sich die Staatsekretärin für Kommunikation sehr abwertend über demonstrierende Rentner auslässt. Das Video hätte schlechtes Licht auf die Konservativen geworfen. Doch offenbar auf Bitten der Zentrale in Madrid untersagte der Regionaldirektor in Valencia den Journalisten das Video zu zeigen - so jedenfalls beschreiben es mehrere Quellen aus der Redaktion gegenüber ZAPP. Wenige Tage später traten eine Redakteurin und der Informationschef des Studios Valencia deswegen aus Protest zurück. "Wir wurden zensiert", twitterte der mit dem Thema beauftragte Reporter, Ricardo Pomares.
Informationschefin: "Es gibt keine Manipulation!"
Leitende Redakteure treten zurück, massiver Protest von der Belegschaft - die Fernsehdirektion in Madrid steht unter Druck. Trotzdem äußert sich so gut wie niemand aus der Führungsebene öffentlich. Für ZAPP erklärte sich die Informationschefin jetzt zu einem Gespräch bereit. "Wir weisen die Vorwürfe entschieden zurück", sagt Carmen Sastre am Telefon. In ihren Informationssendungen gebe es keine Manipulation, lediglich eine "redaktionelle Leitlinie", wie sie in jeder Redaktion üblich sei. Dass nun sogar ihr Aushängeschild Ana Blanco protestiert, kommentiert die Informationschefin nüchtern: "Nur weil sich jemand schwarz anzieht, hat er ja noch nicht Recht."
Auch im jüngsten Fall in Valencia will Sastre nichts von Einflussnahme wissen. "Es gab keinerlei Anweisungen aus der Direktion in Madrid", sagt die Informationschefin. Die Mitarbeiter in Valencia halten das für eine Lüge.
Redakteursausschuss soll parteiisch sein
Den Vorwurf, politisch gelenkt zu sein, bestreitet Sastre vehement und feuert zurück gegen den Redakteursausschuss. "Wenn wir Negativschlagzeilen über die linken Parteien nicht in die Sendung nehmen, spricht der Redakteursausschuss komischerweise nicht von Manipulation - das gibt mir ernsthaft zu denken."
Gabriel López vom Redakteursausschuss hält diese Kritik für unsinnig. Die Berichterstattung schlage sich nun einmal häufig auf Seiten der konservativen Regierungspartei - "dementsprechend werde hauptsächlich das kritisiert", sagt López.
Regierungspartei verschleppt Rundfunkreform
Anders als der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland wird Radiotelevisión Española (RTVE) nicht über Rundfunkbeiträge, sondern zum Großteil direkt über Steuermittel finanziert. Die Regierung hat damit ein Druckmittel gegen den Sender in der Hand, weil sie jederzeit den Etat kürzen kann. Auch der Intendant wird direkt vom Parlament gewählt und so sitzt seit 2014 mit José Antonio Sánchez ein selbsterklärter Anhänger der Konservativen auf dem Chefsessel bei RTVE.
Die protestierenden RTVE-Journalisten fordern, den - wie sie ihn nennen - "Regierungssender" zu einem öffentlichen-rechtlichen Sender zu reformieren. Ein erster Schritt in diese Richtung ist eigentlich längst beschlossen. Da die Konservativen in Spanien seit 2016 nur noch in einer Minderheitsregierung sind, konnten die Oppositionsparteien gemeinsam das Rundfunkgesetz ändern. Künftig soll eine Expertenkommission den Intendanten wählen.
Doch die Regierungspartei verschleppt die Umsetzung dieser Reform seit Monaten. Reporter ohne Grenzen spricht von einer "desaströsen Blockade durch die konservative Volkspartei". Auch Informationschefin Carmen Sastre ist nicht generell gegen eine Reform: "Aber nur dann“, sagt sie im Gespräch mit ZAPP, "wenn alle Parteien einen Konsens finden." Nur danach sieht es bisher nicht aus.
EU-Parlament fordert Erklärungen
Mittlerweile hat der Protest der spanischen Journalisten auch das EU-Parlament erreicht. Der Redakteursausschuss hat die Manipulationsvorwürfe dort beim Petitionsausschuss vorgetragen. Die Vorsitzende des Ausschusses, die liberale Cecilia Wikström, zeigte sich "besorgt" - und hat schriftlich eine Erklärung von der spanischen Regierung eingefordert.
Auf ZAPP Anfrage wollte sich die spanische Regierung dazu nicht äußern. Für Anfragen zum öffentlichen Rundfunk sei der Kongress zuständig. Die Pressestellte des Kongresses fühlt sich aber auch nicht zuständig: "Wenn das EU-Parlament die spanische Regierung anspricht, muss die Regierung antworten, nicht wir", sagt eine Mitarbeiterin am Telefon zu ZAPP - und so antwortet am Ende niemand.
Die TVE-Informationschefin Carmen Sastre fühlt sich derweil auch vom EU-Parlament zu Unrecht beschuldigt. Man habe 1000 Seiten eingereicht, die die eigene Unabhängigkeit belegten. "Hat die jemand im EU-Parlament mal gelesen", fragt Sastre. Sie glaubt nicht.