Stand: 28.03.2017 19:45 Uhr

Pressekodex zum Minderheitenschutz geändert

von Kira Gantner & Sabine Schaper
Zahlreiche Menschen stehen in der Silvesternacht auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs in Köln. © dpa Bildfunk Foto: Markuks Boehm
Spielte die Herkunft der Täter bei bei den Übergriffen eine Rolle?

Wenn ein Mann im Affekt seine Frau tötet - ist es da für die Berichterstattung von Belang, welcher Herkunft er hat? In den allermeisten Fällen vermutlich nicht, so bestimmt es die alte Ziffer 12.1. des Pressekodex. Die Herkunft steht in keinem "begründbaren Sachbezug" zur Tat. Stattdessen führt die Nennung möglicherweise zu einer Diskriminierung einer ganzen Gruppe durch die Tat eines einzelnen.

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Doch der "begründbare Sachbezug" stand seit den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht stark in der Kritik. Damals, einen Tag nach den Vorfällen, entzündete sich ein heftiger Streit um die Frage, ob man die Herkunft der jungen Männer am Kölner Hauptbahnhof nennen solle oder nicht. Diskriminierte man durch die Nennung junge nordafrikanische Männer? Oder führte die Nicht-Nennung zu sinkender Glaubwürdigkeit der Medien, weil sie sich dem Vorwurf stellen müssten, sie verschwiegen etwas? Eine Zwickmühle für die Journalisten.

Sachbezug durch öffentliches Interesse ersetzt

Nachdem der Presserat im März vergangenen Jahres noch entschieden hatte, den Passus dennoch beizubehalten, hat er die Ziffer nun geändert. Grundsätzlich soll die Herkunft nicht genannt werden.

Presserat-Sprecher Manfred Protze
Verteidigt die neue Richtlinie: Manfred Protze.

Nur, wenn es ein "begründetes öffentliches Interesse" gibt, dann sei eine Nennung statthaft. Der "Sachbezug" sei, so Manfred Protze vom Presserat, sehr kreativ ausgelegt und gleichzeitig von vielen Kollegen als sehr sperrig empfunden worden. "Das öffentliche Interesse, davon gehen wir aus, ist allen geläufig, nämlich als Interesse, das durch das Gemeinwohl bestimmt wird und dem die Presse und die Medien ohnehin verpflichtet sind."

Kritik auch an der neuen Version

Doch Praktiker wie Lars Reckermann von der Nordwestzeitung in Oldenburg haben ihre Zweifel, ob diese Änderung wirklich weiterhilft. Zwar schätzt er den Pressekodex als Leitfaden und Orientierung, doch im Zweifelsfall, so erzählt er, nennt die Nordwestzeitung die Täterherkunft. "Unsere Aufgabe ist es Fakten zu sammeln und möglichst viel über eine Nachricht herauszubekommen. Dann recherchieren wir. Ich glaube, es ist in vielen Fällen ein Fakt, dass es sich um einen Deutschen, einen Algerier, einen Bayer oder einen Holländer handelt. Das sind dann Informationen, die wir zusammentragen und dann sollten die auch veröffentlicht werden. Es ist unsere tägliche Arbeit nichts wegzulassen."

Die Kritik kommt von allen Seiten: Tanit Koch, Chefredakteurin der BILD, fühlt sich grundsätzlich gegängelt durch diese Regelung und hält dagegen, dass die Menschen spätestens durch die sozialen Medien die Herkunft sowieso erfahren und plädiert für eine breite Berichterstattung. Auf der anderen Seite formiert sich Protest gegen die vermeintliche Lockerung des Kodex. Katrin Gottschalk von der taz erklärt, ihre Zeitung würde auf jeden Fall weiterhin strenger entscheiden, als es der Pressekodex vorsieht. Ihr sei die Neuerung zu weit gefasst.

VIDEO: Tanit Koch: Presserat will Leser bevormunden (1 Min)

Pressekodex ist Selbstverpflichtung

Der Pressekodex ist eine Leitlinie, die sich der Presserat als Organ der Selbstverwaltung von Journalisten 1973 gegeben hat. Seitdem ist er mehrfach geändert und ergänzt worden. Nach außen sichtbar wird der Presserat, wenn er öffentlich Rügen gegen Zuwiderhandlung erteilt. Diese müssen dann veröffentlicht werden - die stärkste Waffe des Presserats. Doch wird der Presserat erst tätig, wenn er eine Beschwerde erhält. Und dann sieht er beim Diskriminierungsverbot oft von der Veröffentlichungspflicht ab, um die Diskriminierung nicht noch einmal zu wiederholen. "Zahnloser Tiger" nennt ihn deshalb nicht nur Chefredakteur Reckermann.

Manfred Protze jedoch versteht den Presserat sowieso auf "Dialog angelegt". Der Pressekodex und Ziffer 12.1 sollen die Redaktionen anhalten sich Gedanken zu machen. Und die machen sie sich - nur oft am Presserat vorbei.

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