Stand: 15.11.2006 23:00 Uhr

Der Deutsche Presserat wird 50

 

Er soll die Pressefreiheit verteidigen und darauf achten, dass die journalistischen Spielregeln eingehalten werden. Doch nicht immer hat man in den letzten 50 Jahren den Eindruck gehabt, dass der Deutsche Presserat dies getan hat. Er gilt vielfach als "zahnloser Tiger", zum Beispiel wenn es um die rauen Sitten im Boulevardbereich geht. Als die Schauspielerin Sibel Kekilli Opfer einer "Bild"-Kampagne wurde, brauchte der Presserat zehn Monate, um das Boulevard-Blatt zu rügen. Und bis die Zeitung die Rüge abdruckte, verging über ein Jahr. Zapp mit einer kritischen Würdigung zum 50. Geburtstag des Deutschen Presserats.

Die Kneipe "Aktuell" in der Bonner Fußgängerzone. Im gleichen Haus, etwas versteckt - der Sitz des Deutschen Presserats. Von hier aus beschützen die Wächter des Presserates ihren größten Schatz: die Freiheit der Printmedien. 14 Mitglieder entsenden die Journalistengewerkschaften, 14 die Verleger. Der Presserat, gegründet vor 50 Jahren. Focko Lüpsen, Sprecher Deutscher Presserat 1962: "Der Deutsche Presserat will einmal die Pressefreiheit schützen, sodann Missstände im deutschen Pressewesen feststellen und beseitigen." Hehre Ziele damals - heftige Kontroversen heute. Stefan Niggemeier, Medienjournalist: "Ich glaube, dass man Leuten eigentlich nicht den Rat geben darf, wenn euch 'ne Zeitung wirklich übel mitgespielt hat, wendet Euch an den Presserat. Weil am Ende wird das immer 'ne Enttäuschung sein." Fried von Bismarck, Sprecher Deutscher Presserat: "Das ist wie in einer Familie mit vielen Kindern, wo eben die Schwester zum Bruder sagt: 'Nimm Deine Finger aus der Suppe!'." Thomas Leif, netzwerk recherche: "Ich glaube, man ist sich selbst genug. Das hat was zu tun mit Tradition, mit Ritualen, mit Regeln. Man hat sich an sich gewöhnt." Lutz Tillmanns, Geschäftsführer Deutscher Presserat: "Wir wollen die Pressefreiheit verteidigen. Und das haben wir intensiv betrieben."

Pressefreiheit und Staatsmacht.

Beispiel Spiegelaffäre 1962: Polizisten durchwühlen Redaktionsräume, verhaften Journalisten. Wegen eines angeblich staatsfeindlichen Titels. Konrad Adenauer, Bundeskanzler 1962: "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande." Der Presserat protestiert scharf: Die Übergriffe der Staatsmacht seien unrechtmäßig. Geisel-Affäre in Gladbeck 88: Damals kritisiert der Presserat die Journalisten. Denn sie behindern die Polizeiarbeit, steigen zu den Kidnappern ins Auto. Damit überschreiten sie die ethischen Grenzen des Journalismus, urteilt der Presserat. Wehrhaft in der Vergangenheit, doch heute sehen Kritiker immer mehr Angriffsflächen. Thomas Leif: "Es ist eher ein Organ, das sich selbst reguliert, aber nicht kontrolliert. Die Interessen von Verlegern einerseits und einigen Journalistengewerkschaften, die eigentlich sonst eine Tarifgemeinschaft ergeben, die sind so ähnlich in vielen Punkten, dass kritische Diskussionen und kritische Würdigung von Verfehlungen der Presse gar nicht aufkommen und dass man eher in so einem Kleinklein versucht, die Konflikte einzuhegen und zu verharmlosen und möglichst nicht öffentlich zu machen."

Öffentliche Rüge

Die schärfste Sanktion des Presserats ist die öffentliche Rüge. Wirkungslos, urteilen Kritiker. Zum Beispiel im Fall Kekilli: Die preisgekrönte Schauspielerin war Opfer einer "Bild"-kampagne. Tagelang auf Seite eins: "Film-Diva in Wahrheit Porno-Star", "Eltern verstoßen sündige Filmdiva". Sibel Kekilli - völlig verzweifelt. Sibel Kekilli bei Bambi-Verleihung 19. November 2004: "Hört jetzt endlich auf mit dieser dreckigen Hetzkampagne. Das, was ihr da macht, nennt man Medienvergewaltigung!" Erst nach zehn Monaten reagiert der Presserat. Er rügt die "Bild". Doch die lässt sich Zeit mit dem vorgeschriebenen Abdruck - mehr als ein Jahr. Dann ist die Rüge im Blatt - endlich. Aber nicht auf dem Titelblatt, sondern auf Seite vier, winzig klein. Fried von Bismarck: "Warum das zwei Jahre gedauert hat, bis das abgedruckt worden ist, kann ich Ihnen nicht sagen, halte ich aber auch für völlig unerheblich." Stefan Niggemeier: "Der Presserat kann am Ende wie 'ne Behörde 'nen Haken dran machen und sagen, hat doch alles wunderbar geklappt, die haben die Rüge abgedruckt. Aber letztlich ist niemanden damit geholfen und ich glaube, das zeigt ganz gut, was für 'ne Farce das Verfahren auch ist." Öffentliche Rügen - immerhin 20 wurden im letzten Jahr abgedruckt, sechs stehen noch aus. Der "Tagesspiegel" druckte eine Rüge, weil er musste. Nicht, weil die Redaktion ihren Fehler einsah.

Kontrolle der Kontrolleure?

Der Presserat hatte "einen Verstoß gegen das Trennungsgebot von Redaktion und Werbung", also Schleichwerbung gerügt. Aber einen Absatz später distanziert sich der "Tagessspiegel" von der Rüge und schreibt, dass "die Reihe ungeachtet der Rüge des Presserates fortgeführt" werde. Der Presserat tagt grundsätzlich ohne Zeugen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Geheimniskrämerei. Fried von Bismarck: "Es ist doch klar, dass, wenn man in einem solchen Gremium sitzt, wo Journalisten und Verleger über Journalisten und Verleger urteilen, dass man auch gar nicht so, dass man eigentlich nicht gerne möchte, und das ist auch gut so, dass zum Beispiel auch der Beschwerdegegner, das kann also eine Zeitung sein, am Ende genau weiß, wer hat da eigentlich was gesagt und wer ist da welcher Überzeugung gewesen." Die Kontrolleure wollen selbst nicht kontrolliert werden. Für manche ist das Kungelei. Horst Pöttker, Professor für Medienwissenschaft Uni Dortmund: "Man möchte hinter verschlossenen Türen verhandeln, damit Problematisches nicht öffentlich wird. Aber Problematisches muss öffentlich werden, wenn es beseitigt werden soll oder verarbeitet werden soll." Der Presserat rühre sich zu wenig, er reagiere nur auf Beschwerden und stoße zu selten Debatten an, meinen Kritiker. Thomas Leif: "Ich glaube, der Presserat könnte zum Beispiel lernen von der evangelischen Kirche, die gelegentlich Denkschriften, wichtige, sehr genau abgeklärte Publikationen und Positionspapiere veröffentlicht. Und ich könnte mir vorstellen, dass zumindest jedes Quartal, der Presserat zu wichtigen Medienfragen und Pressefragen ein abgerundetes, abgeklärtes Urteil an die Öffentlichkeit bringt und damit auch den Gedanken des Presserates verbreitert." Horst Pöttker: "Er hat sich selbst in der Beschwerdeordnung das Recht eingeräumt von sich aus aktiv zu werden, wenn es um Missstände im Pressewesen geht.

Kodex

Das hat er aber noch nie getan. Er hat bisher immer nur auf Beschwerden reagiert." Dabei stehen jeden Tag Falschmeldungen in der Zeitung. Laut Kodex des Presserats müssten alle berichtigt werden, unverzüglich. Korrekturspalten würden Klarheit bringen. In anderen Ländern selbstverständlich. Fried von Bismarck: "Wir haben darüber noch nie, jetzt mal unter einer Tagesordnung, wirklich nicht nachgedacht. Aber das ist eine gute Idee, ich werde das mitnehmen." "bildblog.de" füllt diese Lücke, kontrolliert zumindest die größte Zeitung Deutschlands. Jeden Tag. Ein Vorbild für den Presserat? Lutz Tillmanns: "'bildblog' ist 'ne interessante und auch 'ne wichtige Begleitinitiative oder Begleitmedium. Aber das ersetzt natürlich nicht branchenweite Selbstkontrolle." Die Selbstkontrolle der Printmedien - ein guter Vorsatz. Aber seit Jahren wird der Presserat das Etikett des zahnlosen Tigers nicht los. Er habe es sich bequem gemacht. Stefan Niggemeier: "Ich glaube, es müsste erst mal ein öffentlicher Druck entstehen, dass man erkennt, dass die Öffentlichkeit zu dem Urteil kommt, das reicht uns nicht, was wir da an Presserat haben, da muss mehr passieren. Dann gäbe es natürlich die Chance, dass die Verleger und die Journalisten sich zusammensetzen und sagen: Wir statten einen Presserat mit anderen Mitteln aus und auch mit anderen Sanktionen." Die Anfänge des Deutschen Presserats. Ein honoriger Herrenzirkel, hier bei Bundespräsident Lübke. Die Medienwelt hat sich seitdem rasant verändert. Geblieben ist die ehrenwerte Runde - auf der Suche nach neuen Antworten.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 15.11.2006 | 23:00 Uhr