Polit-Talkshows: Studie kritisiert mangelnde Vielfalt
In den öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows diskutiert meist eine kleine privilegierte Gruppe über Themen, die eigentlich die ganze Gesellschaft betreffen. So lässt sich die Studie "Die Talkshow-Gesellschaft" in einem Satz zusammenfassen. Darin haben Paulina Fröhlich und Johannes Hillje für das linksliberale "Progressive Zentrum" untersucht, wie verschiedene gesellschaftliche Bereiche und politische Ebenen in öffentlich-rechtlichen Talkshows repräsentiert sind. Das Ergebnis: ungenügend. Ihre Analyse der wichtigsten Polit-Talkshows der vergangenen Jahre zeigt: 42,6 Prozent der eingeladenen Gäste sind parteipolitische Vertreter, weitere 22,9 Prozent sind Journalistinnen und Journalisten. Insgesamt stammen also zwei Drittel der Polit-Talkshow-Gäste aus dem Bereich der Parteien und der Medien.
Gästeauswahl verengt Meinungsvielfalt
Für die Studie wurden mehr als 1.200 Sendungen aus den vergangenen drei Jahren ausgewertet: allen voran die vier reichweitenstärksten Talkshows "Anne Will", "Hart aber fair", "Maischberger" (alle ARD) und "Maybrit Illner" (ZDF). Besonders bei "Anne Will" dominieren die Parteipolitiker, die sechs von zehn Gästen stellen. Damit spielen weite Teile der Gesellschaft etwa aus den Bereichen Kultur, Zivilgesellschaft und Soziales in den Talkshows nur Statistenrollen.
"Die Standardbesetzung aus 'Politik plus Journalismus', wie auch die permanente Wiederkehr derselben Köpfe aus diesen zwei Bereichen, verengen eben diese Meinungsvielfalt und lassen Chancen für mehr Nähe zu Bürgerinnen und Bürgern ungenutzt", kritisieren die Autoren der Studie.
"Hauptstadtjournalismus trifft Hauptstadtpolitik"
Sogar mit Blick auf die eingeladenen Politiker ergibt sich eine Schieflage. Während mehr als 70 Prozent bundespolitisch aktiv sind, also aus dem Berliner Politikbetrieb kommen, sind nur knapp 20 Prozent landespolitisch tätig. Lediglich 7,3 Prozent sind Politiker, die vor allem auf der EU-Ebene unterwegs sind. Verschwindend gering ist der Anteil der Kommunalpolitiker (2,4 Prozent) und derjenigen, die auf globaler Ebene agieren (0,7 Prozent).
Für Fröhlich und Hillje ein demokratisches Problem: "Obwohl die Bedeutung der Kommunal- und Europa-Ebene in der Öffentlichkeit immer wieder floskelhaft betont wird, wird für deren Einbindung in den öffentlichen Diskurs doch zu wenig getan." Mit dem Fokus auf der Bundespolitik laufen die öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows Gefahr, weder dem deutschen Föderalismus noch der europa- und weltpolitischen Dimension der deutschen Politik gerecht zu werden.
Positionen der Unternehmensseite stark überrepräsentiert
Besonders auffällig ist das Missverhältnis der Gäste-Auswahl bei wirtschaftlichen Themen. Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen, Branchenverbänden und Arbeitgeberverbänden machen zusammen mehr als 80 Prozent aus. Während die Position der Unternehmensseite damit stark überrepräsentiert ist, sprechen beim Thema Wirtschaft lediglich jeweils acht Prozent der Talkshow-Gäste aus Perspektive der Beschäftigten oder für Verbraucher- und Konsumentenorganisationen.
Mehr Vielfalt bei den Themen Klima und Corona
Dass mehr Vielfalt möglich ist, zeigt die Einladungspraxis der Redaktionen bei den Themen "Corona" und "Klima". In Talkshows, die sich mit der Corona-Pandemie befassen, sind deutlich häufiger Personen aus der Wissenschaft zu Gast. Vor der Corona-Krise kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei den vier großen Polit-Talkshows nur auf einen Anteil von 8,8 Prozent. Während der Pandemie kam jeder vierte Gast aus der Wissenschaft.
Aktivistinnen, lokale Bürgerinitiativen oder Vertreter von NGOs dürfen weiterhin nur sehr selten Platz bei den großen Polit-Talkshows nehmen. Nur jeder 40. Gast stammt aus der Zivilgesellschaft. Wenn es allerdings um die Themen Klima und Umwelt geht, sitzt in drei von vier Sendungen jemand aus der Zivilgesellschaft mit am Tisch.
Talkshows seit langem in der Kritik
Es ist nicht die erste Studie, die die Gästeauswahl der Talkshows kritisiert. Der Journalist Fabian Goldmann hatte Ende 2019 bemängelt, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in den Talkshows stark unterrepräsentiert sind, was sich etwa bei den Namen zeige. "Menschen mit dem Namen Peter begegnet man in deutschen Talkshows häufiger als allen Personen mit türkischen Namen zusammen."
Auch der Publizist Oliver Weber hatte vor genau einem Jahr in seiner Streitschrift "Talkshows hassen" die Gästeauswahl als einseitig kritisiert.
Die Studie stützt solche Kritiken. Gleichzeitig sind die Autorin und der Autor darum bemüht, keine Fundamentalkritik zu formulieren. Es könne nicht darum gehen, in jeder einzelnen Sendung die politische und gesellschaftliche Vielfalt exakt zu repräsentieren. Allerdings betonen Fröhlich und Hillje zugleich, dass Diversität eine demokratische Normalität in einer pluralistischen Gesellschaft sein sollte. Der kleine Kreis an immer wiederkehrenden Gästen, in der Studie als "Cliquenbildung" bezeichnet, könnten Misstrauen, Zynismus und Entfremdung gegenüber etablierten Medien verstärken. Neue Gesichter, neue Perspektiven, vielleicht auch neue Konzepte könnten da entgegenwirken.
ZAPP hat wegen der Gästeauswahl der Talk-Formate nachgefragt - hier kommen die Antworten vom Ersten Deutschen Fernsehen: