Polen: Nazi-Vergleiche gegen Kritiker der PiS
Wochen nach ihrer Ausstrahlung hat eine Arte-Dokumentation solche Wellen geschlagen, dass sich mit dem Nachspiel jetzt der Präsident des Europäischen Parlaments auseinandersetzen muss: Für "Polen vor der Zerreißprobe - Eine Frau kämpft um ihr Land" begleitete die NDR-Filmemacherin Annette Dittert die polnische Oppositionspolitikerin und EU-Abgeordnete Róza Thun, weswegen sich die beiden Frauen derzeit einer Hetzkampagne befeuert von EU-Politikern und polnischen Medien ausgesetzt sehen.
Czarnecki vergleicht Thun mit Nazi-Kollaborateure
Ryszard Czarnecki ist Mitglied der polnischen Regierungspartei PiS und Vize-Präsident des EU-Parlaments. Er verglich den Film in seinem Blog und in Interviews mit Nazi-Propaganda: Die Filmemacherin habe sich "Leni Riefenstahl … zum Vorbild genommen." Ihre Protagonistin, die EU-Abgeordnete Thun, beleidigte er als "Szmalcownik" - ein Begriff, der in Polen eigentlich Tabu ist: Er bezeichnet Nazi-Kollaborateure, die Juden an die Nazis verrieten.
"Das hat es bislang nicht gegeben", sagt Gabriele Lesser. Sie lebt seit 1995 in Warschau, berichtet als Korrespondentin unter anderem für "die tageszeitung". "Bislang haben weder Regierungspolitiker noch EU-Politiker aus Polen sich so was erlaubt. Das ist eine völlig neue Qualität."
Abberufung des Vize-Präsidenten wird gefordert
Vier Fraktionsvorsitzende des EU-Parlaments forderten daraufhin in einem offenen Brief Czarneckis vorzeitige Abberufung als Vize-Präsident.
Die Entscheidung darüber wurde auf Anfang Februar vertagt, bis dahin soll Parlamentspräsident Antonio Tajani zwischen seinem Vize und der Abgeordneten Thun schlichten. Czarnecki allerdings kündigte in einem Radiointerview bereits an: "Bei der Wahl, ob ich meinen Posten behalte, indem ich meine Meinung widerrufe oder ob ich meinen Posten verliere, indem ich die Interessen des eigenes Landes verteidige, wähle ich das zweite."
Lesser: PiS-Partei wird Vorfall eher nutzen als schaden
"Egal, wie die Sache ausgeht, die PiS wird es für sich zu nutzen wissen", ist sich die in Warschau lebende "taz"-Korrespondentin Gabriele Lesser sicher: "Entweder man macht gar nichts und Czarnecki bekommt einen Freibrief für seine Hetze. Oder man setzt ihn ab und treibt den Keil noch tiefer zwischen Polen und die EU."
Dittert: Kritiker "aus dem Spiel zu werfen" Strategie der PiS
"Das, was jetzt nach dem Film passiert ist, bestätigt eigentlich eins zu eins, was ich in dem Film beschreibe", sagt Filmemacherin Annette Dittert. "Nämlich die Strategie der regierenden PiS: Die zielt ganz konkret darauf ab, jeden, der sich kritisch der Regierung gegenüber äußert, als Nazi, als Landesverräter oder gar als Juden-Mörderin und Denunziantin aus dem Spiel zu werfen."
Polens Regierung fährt Anti-EU-Kurs
Die polnische Regierung fährt seit längerem einen Anti-EU-Kurs, führende Politiker sehen in der EU so etwas wie eine Besatzungsmacht, von Deutschland kontrolliert - ein Bild, das unter anderem die regierungsnahe "Gazeta Polska" verbreitet. Deshalb stehen besonders deutsche Politiker und Journalisten im Feuer. Immer wieder fallen Nazi-Vergleiche und Propaganda-Vorwürfe.
Kritiker werden eingeschüchtert
Vor der Kamera wollen sich einige der in Polen arbeitenden deutschen Journalisten dazu lieber nicht äußern, um die Arbeit vor Ort nicht weiter zu erschweren. Gabriele Lesser kann das nachvollziehen: "Mir selbst ist das auch mal so gegangen, nach einem offenen Interview, dass ich Todesdrohungen bekommen habe und Anrufe, dass ich meines Lebens nicht mehr sicher sein solle, hier in Polen. Oder einer rief an und rief in den Hörer, nachdem er meinen Namen gehört hatte, "Heil Hitler". Da kann ich schon verstehen, dass Leute Angst haben, ein offenes Interview zu führen."
Möglichst keine Interviews für westeuropäische Medien
EU Vize-Präsident Czarnecki ließ die Anfrage von ZAPP unbeantwortet. Auch die Regierungspartei PiS sowie ihr nahestehende Journalisten waren nicht zu einem Interview bereit. Für Annette Dittert, der es während der Dreharbeiten ähnlich ging, ebenfalls Teil einer Strategie: "Man merkt schon, eigentlich ist die Strategie der Regierungspartei, möglichst deutschen oder westeuropäischen Medien keine Interviews zu geben. Und ich nehme an, dass es nach diesem Wirbel jetzt schwieriger wird in Zukunft, noch schwieriger."