#MeTwo-Debatte: Was fehlt im Journalismus?
Acht Jahre ist es her, da interviewte ZAPP für einen Beitrag zur Darstellung von Migranten in den Medien den Politikressort-Chef der "Zeit", Bernd Ulrich. Er attestierte deutschen Redaktionen damals mangelnde Diversität, die sich in wenig vielfältigen Perspektiven auf das Thema niederschlug: "Wenn man sich in den deutschen Redaktionsstuben umguckt, stellt man fest: Sowas langweilig Homogenes, nur Mittelschichtssprösslinge rein deutscher Natur tummeln sich da, zu 99 Prozent. Und ja, da bekommt man natürlich Mittelschichts-Sichtweisen, Mittelschichts-Biografien, Mittelschichts-Lebensgefühle." Was hat sich seit 2010 in dieser Hinsicht getan? Wie divers sind die "deutschen Redaktionsstuben" in Zeiten der #MeTwo-Integrationsdebatte?
Nur fünf Prozent mit Migrationshintergrund unter den Journalisten
Journalisten mit Migrationshintergrund scheinen in den deutschen Medien präsenter denn je: Linda Zervakis spricht die "Tagesschau", Yared Dibaba moderiert bei "Mein Nachmittag" im NDR und bald zur Primetime im "Ersten". In den Autorenzeilen von Reportagen und Kolumnen erscheinen Namen wie Özlem Topçu ("Zeit"-Politikredakteurin) oder Margarete Stokowoski ("Spiegel"-Kolumnistin). Gesellschaftliche Diskurse werden heute von Journalisten mit Migrationsgeschichte nicht nur mitbestimmt, sondern oft auch angestoßen.
Man könnte meinen, die deutsche Medienlandschaft sei, was Vielfalt angehe, weiter als die Gesamtbevölkerung. Doch die Statistik zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Eine Studie von 2015 geht davon aus, dass in deutschen Redaktionen nur etwa vier bis fünf Prozent der Journalistinnen und Journalisten einen Migrationshintergrund haben. In der Gesamtbevölkerung waren es zu dem Zeitpunkt gut 20 Prozent. Diesen Monat meldete das Statistische Bundesamt: Mittlerweile hat fast jeder vierte Deutsche eine Migrationsgeschichte.
Vielfalt in der Medienlandschaft fördern
"In den Redaktionen und bei Führungspersonal hat sich nicht unbedingt viel geändert. Vor allem im Print-Bereich ist es nach wie vor wirklich mau. Da finden wir kaum jemanden aus Einwanderungsfamilien, vor allem wenn man weg von den Städten in kleinere Orte geht", sagt Sheila Mysorekar. Mit ihrem Verein der Neuen deutschen Medienmacher will sie die Vielfalt in der deutschen Medienlandschaft fördern.
"Es ist wichtig, um unterschiedliche Perspektiven zu haben", so Mysorekar, "nicht nur für die Zuschauer, die aus migrantischen Familien kommen, sondern für alle." Doch Journalisten mit Migrationshintergrund haben es ihrer Erfahrung nach schwerer: "Für uns ist es schwieriger, die nötigen Verbindungen zu haben. Das ist ein Punkt. Der andere Punkt ist, dass wenn man zu einer Minderheit gehört, immer alle repräsentiert. Man muss doppelt so gut sein, um anerkannt zu werden."
Förderung während des Studiums
Die Heinrich-Böll-Stiftung betreibt aus diesen Gründen seit zehn Jahren ein Programm, um angehende Journalisten mit Migrationshintergrund bereits während des Studiums zu fördern und in ein Netzwerk einzubinden. Vanessa Vu, Redakteurin bei "Zeit Online" und Tochter vietnamesischer Einwanderer, ist Absolventin dieses Programms: "Ich glaube, dass ich es ohne das Programm nicht geschafft hätte. Ohne die finanzielle Unterstützung hätte ich mir einen anderen Berufsweg überlegt. Meine Eltern werden keine hohe Rente erhalten, weil sie nicht von Anfang an in Deutschland gelebt und eingezahlt haben. Ich sehe mich da in ganz anderen Verpflichtungen als möglicherweise andere."
Jüngst wurde ihr Text "Meine Schrottcontainerkindheit" über ihre Kindheit im Asylbewerberheim mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet, einmal monatlich spricht sie in ihrem Podcast "Rice and Shine" über das "Vietsein" in Deutschland. Erst im Rückblick habe sie erkannt, was ihr als angehende Journalistin mit Migrationshintergrund gefehlt habe: Vorbilder und Förderer: "Ich glaube, als Migrantenkind wächst man nicht mit der Idee auf, Journalistin zu werden - warum auch, die Berufseinstiegschancen sind relativ niedrig, es ist schwer reinzukommen, keine Branche, in der es für Aufsteiger viel Geld gibt. Und dann gibt es noch nicht mal Leute, die halbwegs aussehen wie man selber, wo man wüsste, man kann sich so ein bisschen an denen orientieren oder die helfen einem irgendwie auch nach oben."
Es fällt auf, dass oft Texte rund um die Themen Migration, Flucht und Asyl von Autoren mit Migrationshintergrund stammen - das kann ein Vorteil sein, denn Sprachkenntnisse und biografische Erfahrungen können Zugänge zu Themen und Protagonisten fördern, die anderen Journalisten verbaut bleiben. "Als hellblonder Deutscher kann man schlicht keinen Zugang zur Community afghanischer Frauen finden. Das ist unmöglich", so Sheila Mysorekar.
Alle Milieus abbilden
Jörg Wimalasena von der "tageszeitung" beobachtet in den vergangenen Jahren Bemühungen der Redaktionen, diese Diversität auszubauen: "Da hat sich in den letzten vier, fünf Jahren viel getan. Und man merkt auch, dass sich das positiv auf die Berichterstattung über Minderheitenthemen auswirkt." Doch gerade mit Blick auf die #MeTwo-Debatte fehlen ihm weiterhin bestimmte Stimmen und Perspektiven im Diskurs: "Es reicht nicht, unter einem Hashtag seine eigenen Probleme zu schildern, man muss auch die materiellen Probleme von Migranten ansprechen, und dazu gehören nun mal Armut, Hartz IV, niedrige Löhne." Dass das zu wenig stattfinde, liege daran, dass auch Journalisten mit Migrationshintergrund häufig aus Mittelschichtsfamilien stammten.
"Um sich in der Medienbranche zu bewegen, braucht man einen bestimmten Habitus. Man sollte zum Beispiel das Wort 'Habitus' kennen" sagt Wimalasena. Deshalb wünscht er sich speziell für Menschen aus bildungsfernen Milieus Zugänge zum Journalismus: "Wenn man Migrationshintergrund hat, aber in einem Dorf im Allgäu aufgewachsen ist und die Eltern einen guten Job haben, dann ist man vielleicht schon mal von der Bundespolizei kontrolliert worden. Man weiß aber vielleicht nicht unbedingt, wie es ist, an der Brennpunktschulen aufgewachsen zu sein, mit Hauptschulabschluss in die Leiharbeit abgedrängt worden zu sein und sich mit Themen wie Hartz-IV-Sanktionen auseinandersetzen zu müssen. Die Diversität in Bezug auf Migrationshintergrund ist ein Aspekt, aber Diversität im Bezug auf soziale Herkunft ist auch ein Aspekt, der im deutschen Journalismus mehr vorkommen sollte."
Welt abbilden, wie sie wirklich ist
Bis die Vielfalt in den deutschen Medienhäusern und Redaktionen etabliert ist, wird es wohl noch dauern. Doch bis dahin, so Sheila Mysorekar von den Neuen Deutschen Medienmachern, arbeite sie weiter daran: "Wir müssen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass alle was davon haben. Nicht nur Migranten, nicht nur Menschen aus Einwanderungsfamilien, sondern alle haben was davon. Weil wir die Welt abgebildet sehen, wie sie wirklich ist und nicht wie wir sie gerne haben möchten."