Faktencheck: Chemnitz-Videos auf dem Prüfstand
Lars Wienand sieht sich das "Hetzjagd"-Video aus Chemnitz an. Der Journalist des Portals "T-Online" sucht nach Indizien, die Aufschluss darüber geben könnten, ob das Handy-Video tatsächlich aus Chemnitz stammt. "Ich sehe eine mehrspurige Straße. Die Kirche ist markant", sagt Wienand. Der kurzen Videosequenz kann er aber noch viel mehr Informationen entnehmen: "Der Schaden im Straßenbelag wird mir später helfen, den Ort auf den Meter genau zu bestimmen, von dem gefilmt wurde. Ich sehe ein Werbebanner. Ich sehe eine Schilderbrücke."
"Das" Chemnitz-Video ist authentisch
Spätestens nachdem Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die Authentizität dieses Videos öffentlich angezweifelt hatte, haben es viele Journalisten analysiert. Auch "Zeit Online", der "Stern", der ARD-"Faktenfinder" und das ZDF haben Indizien gesammelt und: das Video für echt befunden. Die vierspurige Straße, die Position der Verkehrsschilder und der Schaden auf der Fahrbahn bestätigen nach einem Blick auf Karten- und Fotodienste den Ort. Die Plakatwerbung im Hintergrund zeigt wiederum eine Kampagne des Chemnitzer Theaters - von Ende August. Der Abgleich des Sonnenstandes mit einer Wetterdatenbank bestätigt die Uhrzeit.
Über den Faktenchecks stehen Überschriften wie: "Herr Maaßen, alles spricht dafür, dass das Jagdszenen-Video echt ist". Anders als Maaßen zweifeln die Faktenchecker schon nach wenigen Minuten nicht mehr. "Das ist dort gefilmt", sagt Wienand. "Oder es ist innerhalb von weniger als vier Stunden, nachdem es die ersten Meldungen über die Ausschreitungen gab, so hervorragend produziert worden. Das halt ich aber für ausgeschlossen."
Natürlich habe er für einen Moment überlegt, ob er etwas übersehen hatte, sagt Wienand zu Maaßens Äußerung. Und auch der ARD-"Faktenfinder" Patrick Gensing sagt, die ARD habe das Video "natürlich" nochmal gecheckt: "Wenn sich der Chef des Verfassungsschutzes äußert, dann wollen wir das noch mal ganz genau prüfen, denn wir gehen davon aus, dass er irgendwelchen Belege hat. Wir konnten diese aber einfach nicht finden."
Portal "Watson" korrigiert sich
Auf die Arbeit der Faktenchecker schauen in diesen politisch aufgeladenen Zeiten viele, zumal die in sozialen Netzwerken verbreiteten Handybilder die Proteste mit angefacht haben - auf beiden Seiten. Dabei passieren Faktencheckern mitunter auch Fehler: Das junge Portal "Watson" hatte das RAF-Tattoo auf der Hand eines Demonstranten als Montage vermeldet, dabei ist es echt. "Watson" hatte den Fehler dann aber auch zugegeben, detailliert auf der eigenen Seite erklärt und Kollegen, die sich auf den falschen Bericht gestützt hatten, offensiv auf die Korrektur hingewiesen.
Erklären wie Fehler entstehen
Aus Sicht des ARD-"Faktenfinders" Gensing ist das "der beste Weg" mit einem Fehler umzugehen - und vor Fehler sei letztlich niemand gefeit. "Ich glaube, dann ist es wichtig, dass man erklärt, wie dieser Fehler zustande gekommen ist. Und sie haben sich dafür sehr aufrichtig entschuldigt", sagt Gensing. Er sieht Journalisten, aber auch klassische Nutzer in der Pflicht, Material in sozialen Netzwerken zu prüfen: "Jeder ist selbst auch zum Sender geworden. Da hat jeder auch eine größere Verantwortung, das liegt nicht nur bei uns Medien, sondern das liegt auch bei jedem Einzelnen, die Verbreitung von Falschnachrichten nicht noch zu unterstützen."
Teamwork zur Verifikation
Hinter den Kulissen haben sich Faktenchecker vieler Medien zusammengetan. In einer Chatgruppe tauschen sie sich über Redaktionen hinweg über fragwürdiges Material aus. Und: Sie trainieren ihre forensischen Fähigkeiten mit anderen, technisch teils noch versierteren Nutzern über ein spezielles Profil auf Twitter. Unter @quiztime stellen Faktenchecker wie "T-Online"-Journalist Wienand Fotos und Videos zur gemeinsamen Verifikation ein, etwa wo ein Schwein wohnt, das Wienand bei einem Familienausflug über den Weg gelaufen war. "Das ist jetzt wirklich eine eher launige Aufgabe", sagt der Journalist. "Aber das schult für andere Situationen."