Datenleaks: Schwieriger Umgang mit intimen Daten
Dieser Skandal hat Anfang des Jahres die ganze Republik beschäftigt: Ein junger Hacker, der sich selbst Orbit oder G0d nennt hält Medien und Ermittlungsbehörden in Atem. Plötzlich stehen persönliche Daten von fast tausend Prominenten und Politikern im Netz. Für die Betroffenen ein Drama. Für Journalisten erst einmal zusätzliche Informationen über bekannte Persönlichkeiten. Wir haben mit drei Redaktionen gesprochen, wie sie mit den Daten umgehen - und drei vollkommen unterschiedliche Antworten erhalten.
"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt hat sofort ein Team mit 15 Journalisten an die Daten gesetzt. Für Boulevardzeitungen sind intime Informationen grundsätzlich interessant. Die persönlichen Chatverläufe, Familienfotos und sogar Pornobilder, die sie fanden, wolle Reichelt aber nicht veröffentlichen, wie er gegenüber ZAPP versichert.
Was offenbaren die Daten über den Urheber?
Bei der Recherchekooperation aus NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" koordiniert Jan Lukas Strozyk die Arbeit an dem Hack. Hier sehen sich sechs Journalisten die Daten an. Allerdings weniger "unter dem Gesichtspunkt, welche Informationen wir über die Betroffenen in den Daten finden", so Strozyk. Ihnen gehe es nur darum, "was können wir über den Urheber, sprich den Hacker in diesen Daten erfahren, und auch über die Wege, die diese Informationen gegangen sind."
Und so wühlen sie sich auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch privateste Dateien. Juristisch ist das möglich. Die Daten wurden schließlich veröffentlicht. Solches Material darf sich jeder Journalist ansehen. Kritisch wird erst die Veröffentlichung von illegal erworbenen Daten. Dafür muss ein großes öffentliches Interesse vorliegen. Doch ist das Lesen in solchen Datensätzen auch moralisch einwandfrei?
Was macht einen Whistleblower aus?
Oliver Schröm vom Recherchebüro "Correctiv" hat sich gegen eine Arbeit mit den Daten entschieden: "Ich kann nicht ohne Anfangsverdacht in privaten Daten von jemandem rumwühlen. Umgekehrt möchte ich das doch auch nicht." Es gehe niemanden etwas an, mit wem er zu Abend esse oder telefoniere. Jeder habe ein Recht auf Geheimnisse. "Solange derjenige kein Strafverbrecher ist, ist das meine reine Privatsache, und da müssen wir uns selber irgendwie Regeln setzen als Journalisten."
Der klassische Weg, wie Journalisten an interne Informationen kommen, ist der Hinweis auf einen Missstand. Bei den "Panama Papers" oder den "Football Leaks" haben Insider ausgespackt. Whistleblower nennen sich solche Leute. Der jetzige Hacker wollte aber offenbar nur Menschen bloßstellen. "Wenn diese Daten irgendeinen Skandal enthalten hätten", so Schröm, "dann hätte der Hacker das auch ganz anders kommuniziert und ganz anders Laut gegeben."
Einzeltäter oder professionelles Netzwerk?
Die NDR-Journalisten haben tatsächlich noch keine Hinweise auf Missstände oder Fehlverhalten in den Daten gefunden. Aber darum geht es ihnen auch gar nicht. Strozyk interessieren die Daten nur noch im Hinblick auf den Hacker. Sie enthielten wertvolle Hinweise. "Bild"-Chef Reichelt meint Indizien für seine These gefunden zu haben, dass der Hacker Orbit nicht alleine vorgegangen ist, sondern in einer Gruppe, womöglich sogar mit Hilfe einer ausländischen Organisation. Für diese These hatte er schon viel Spott einstecken müssen. "Die wichtigste Erkenntnis war eigentlich nicht so sehr das, was wir gesehen haben, sondern das, was wir nicht gesehen haben. Es war relativ klar, dass diese Daten bereinigt waren von möglicherweise brisanten Inhalten", so Julian Reichelt. Zum Beispiel gehe aus einem Chatverlauf "relativ klar eine Affäre zwischen Person A und Person B hervor", doch genau in dem Moment, "wo es dann zur Sache geht", fehlten plötzlich Nachrichten.
Die Investigativen beim NDR dagegen sind immer noch fest davon überzeugt, dass es sich hier nicht um eine professionelle Gruppe oder gar eine ausländische Organisation gehandelt haben kann. Auch das können sie nur mit dieser Bestimmtheit sagen, weil sie die Daten kennen. Sie hätten den Eindruck, dass der Täter "nicht wahnsinnig professionell und wahnsinnig aufwendig" vorgegangen wäre.
Einzeltäter oder professionelles Netzwerk? Die Sicherheitsbehörden werden demnächst ihre eigenen Theorien präsentieren. Journalisten können diese Aussagen nur dann kritisch überprüfen, wenn sie eigene Recherchen anstellen. Dafür müssen sie sich dieses Mal durch private Daten wühlen. Das ist ethisch heikel, aber dieses Mal offenbar notwendig.