Bericht zu #MeToo beim WDR: Kulturwandel nötig
"Mehr als #MeToo - die Verantwortung des WDR als Arbeitgeber": Schon der Titel des Abschlussberichtes, den die ehemalige Gewerkschaftschefin Monika Wulf-Mathies am Mittwoch in Bonn vorstellt, zeigt die Richtung an. Wulf-Mathies fordert einen "Kulturwandel" beim WDR, um künftig sexuelle Übergriffe zu verhindern. Trotz aller Bemühungen herrsche im WDR noch immer ein "strukturelles Machtgefälle zwischen in der Regel männlichen Chefs und weiblichen Untergebenen, das Raum für Grenzüberschreitungen lässt."
Am Morgen hatte Monika Wulf-Mathies ihren Bericht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des WDR vorab vorgestellt. Dabei wies sie darauf hin, dass es "etwas Befriedendes hätte", würde der Sender sich bei den betroffenen Frauen entschuldigen. Einige Stunden später dann, bei der Pressekonferenz in Bonn, leitet Tom Buhrow sein Statement genau damit ein: Fünf Monate nach Bekanntwerden von sexuellen Übergriffen und Fällen von Machtmissbrauch erklärt der WDR-Intendant vor Medienvertretern, dass er sich bei den betroffenen Frauen entschuldigen möchte.
"Schonungsloser Blick" auf Machtstrukturen
Als im Frühjahr durch Recherchen von Correctiv und Stern die #MeToo Debatte den WDR erreichte, hatte die Senderspitze die ehemalige Gewerkschafterin und EU-Kommissarin Wulf-Mathies gebeten einen, "schonungslosen Blick" auf den WDR und seine Machtstrukturen zu werfen. Sie sollte bewerten, wie der WDR die Fälle sexueller Belästigung aufgearbeitet hat.
In rund 35 ausführlichen Gesprächen hat die 76-Jährigesich in den vergangenen Monaten ein Bild vom Innenleben der größten ARD-Anstalt machen können. Und kommt zu einem klaren Ergebnis: Sexuelle Übergriffe sind nur die "Spitze des Eisbergs, hinter dem sich Machtmissbrauch, vielfältige Diskriminierungserfahrungen und eine Unzufriedenheit mit dem Betriebsklima verbergen." Grundsätzlich attestiert die Ex-EU-Kommissarin dem Sender "strukturelle Defizite".
Größerer Ermittlungseifer wäre wünschenswert gewesen
Die meisten Fälle sexueller Belästigung, die sie untersucht hat, liegen weit zurück. Wulf-Mathies stellt fest, dass die Verantwortlichen den Gerüchten und Beschwerden, die seit den 90er Jahren kursierten, zwar nachgegangen sind, aber wenig konkret unternommen hätten: "Es sind keine eigenen Nachforschungen angestellt worden. Auch haben die Verantwortlichen nicht darauf hingewiesen, dass sexuelle Belästigung beim WDR nicht geduldet und als Verletzung arbeitsrechtlicher Pflichten bewertet wird." Aber sie ergänzt: "In den 90er Jahren gab es in der gesamten Gesellschaft wenig Sensibilität für Alltags-Sexismus." Blöde Witze und sexistische Sprüche hätten als normal gegolten.
#MeToo als Wendepunkt?
Seit Frühjahr 2018 hätte sich das deutlich geändert, so der Eindruck von Wulf-Mathies. Die Verantwortlichen stellten jetzt selbst Nachforschungen an und wenden auch arbeitsrechtliche Sanktionen an. Doch noch immer herrsche ein angstbesetztes Klima: "Alle betroffenen Frauen, mit denen ich mich unterhalten habe, haben mir klar gesagt, dass sie Angst von negativen Folgen haben." Deshalb sei es jetzt eine wichtige Aufgabe Vertrauen zu schaffen: durch klare Schutzzusagen und absolute Vertraulichkeit. Wulf-Mathies schlägt hierfür eine "Clearing-Stelle" vor, an die Betroffene sich wenden könnten und die verhindern soll, dass Beschwerden einfach im Sande verlaufen.
Machtmissbrauch und Unzufriedenheit
Dass es um weit mehr geht als um einzelne Fälle von sexuellen Übergriffen, macht Wulf-Mathies im zweiten Teil ihres Berichts deutlich: "Wie stark das Machtgefälle zwischen unterschiedlichen Mitarbeitergruppen beim WDR ist, ist vielleicht vielen gar nicht bewusst." Aber genau diese Abhängigkeiten seien Nährboden für Diskriminierung und auch für generelle Unzufriedenheit in der Belegschaft.
Führungspositionen würden oft nur mit Blick auf die journalistische Kompetenz besetzt, soziale Kompetenzen oder Mitarbeiter-Führung spielten dagegen oft keine Rolle. Damit lege sie "den Finger in die Wunde", reagiert Buhrow. Ihm sei das Problem zwar durchaus bewusst, das habe aber nicht nur der WDR, das habe der gesamte deutsche Journalismus. Journalisten-Karrieren in Deutschland seien so organisiert, dass gute Journalisten irgendwann zu Führungskräften würden, obwohl sie dafür nicht zwangsläufig geeignet seien.
Buhrow will Maßnahmen umsetzen
Wulf-Mathies‘ Fazit fällt hart aus: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander vermissen. Kosmetische Korrekturen würden nicht ausreichen, um den benötigten "Kulturwandel" herbeizuführen. Deshalb habe sie ein ganzes Aufgabenpaket für Buhrow geschnürt.
Der Intendant versichert, diese Maßnahmen sehr ernst zu nehmen und in den kommenden Wochen mit dem Personalrat zu beraten, wie man welche Vorschläge umsetzten könne. Grobe Verfehlungen bei der aktuellen Führungsriege des WDR im Zuge der Aufklärung von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen sieht Buhrow nicht. Alle Verantwortlichen hätten sich besonders seit diesem Frühjahr aktiv und umfänglich in den Aufarbeitungsprozess eingebracht.