Anwalt beklagt Vorverurteilung Yücels
"Die eventuellen politischen Gründe dieser Vorverurteilung will ich nur ungern kommentieren", sagt Veysel Ok, der Anwalt von Deniz Yücel im Interview mit ZAPP fast diplomatisch. Aber damit deutet er an, was er denkt: Der Journalist Deniz Yücel wird von der türkischen Regierung als politisches Faustpfand behandelt. Der Korrespondent der Zeitung "Die Welt" ist der einzige Journalist in Istanbul, der ohne Anklageschrift in Einzelhaft sitzt.
In einer vorherigen Version hatten wir das Wort "Sonderbehandlung" genutzt. Es war eine direkte, wörtliche Übersetzung aus dem Türkischen, ohne die historischen Konnotation des Begriffs im Deutschen zu bedenken. Wir entschuldigen uns dafür.
Klage wegen Verletzung der Menschenrechte
"Was seinen Fall auch noch besonders macht ist, dass er von Anfang an zur öffentlichen Zielscheibe gemacht wurde", so Ok. Der Rechtsanwalt hat im Namen Deniz Yücels eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) eingereicht. Es gehe um Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch um eine Verletzung der Menschenrechte. Denn Yücel sitzt in Isolationshaft. Das sei eine Form von Folter und ein Verstoß gegen die Konvention der Menschenrechte.
Der EuGMR hatte der türkischen Regierung eine Frist bis zum 14. November gesetzt, um auf die Vorwürfe zu reagieren. Aber die Regierung Erdogan beantragte eine Fristverlängerung.
Die nächste und letzte Frist ist jetzt für den 28. November festgesetzt. Dann muss die türkische Regierung eine Stellungnahme liefern. Was passiert, wenn sie auf die Fragen der Richter in Straßburg nicht reagieren, ist unklar. Für den EuGMR geht es im Fall Yücel auch um seine Autorität und Durchsetzungsfähigkeit - für Erdogan offenbar schon wieder um die Frage der Macht.
Dilek Mayatürk Yücel: "Man muss immer reden"
Yücels Frau Dilek gibt ZAPP ihr erstes Interview auf Deutsch. Das ist ihr wichtig, um den Dialog mit den Unterstützern aber auch Kritikern ihres Mannes aus Deutschland weiter zu treiben. Denn es gibt eine große Welle der Solidarität für ihren Mann, aber auch viel Häme gegen ihn. "Ich spreche mit allen Leuten auf der Welt, egal, was sie meinen. Ich frage zum Beispiel manchmal 'Kennst du überhaupt Deniz? Hast du einen Artikel von ihm gelesen? Sag mir deine Meinung und vielleicht können wir uns verstehen.' Man braucht immer einen Dialog, das ist für mich so. Man muss immer reden, verstehen, sonst ist es ein riesiges Problem."
Wallraff vermisst klare Positionierung von Merkel
Solidarität bekommt Yücel auch von Günter Wallraff. Der Undercover-Journalist engagiert sich für inhaftierte Journalisten in der Türkei, unter anderem als Prozessbeobachter vor Ort. "Ich habe bisher vermisst, dass unsere Bundeskanzlerin, die sich in China, in Russland für Menschenrechte einsetzt das Gleiche in der Türkei macht," so Wallraff. Fünfmal sei sie dort zu Besuch gewesen, so oft wie kein anderer europäischer Politiker. "Doch sie hat nie verlautbaren lassen, dass sie hier Partei ergreift und für unsere Kollegen die Freilassung fordert. Man hat das zumindest nicht gehört. Und das vermisse ich."
Der Weg der Diplomatie als Lösung?
Der Chefredakteur der "Welt", Ulf Poschardt, hat dazu inzwischen eine andere Sicht: "Üblicherweise bin ich als Chefredakteur derjenige, der Ressorts ermutigt, kritisch auf die Bundesregierung, auf das Außenministerium, auf die Kanzlerin zu gucken", erzählt er. Der Fall Deniz Yücel habe jedoch diese Rollen verschoben. Er versuche jetzt auf allen Kanälen etwas für ihn zu tun. "Da werden Gespräche mit einem ehemaligen Bundeskanzler genauso dazugehören, wie Gespräche mit Leuten im Kanzleramt. Doch das würden wir weder bestätigen, noch dementieren - wir müssen einfach drauf vertrauen, dass Diplomatie wirklich eine diskrete Angelegenheit ist."