Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer fahren in einem Fahrzeug durch Mehtarlam, der Hauptstadt der Provinz Laghman © Str/XinHua/dpa Foto: Str/XinHua/dpa

Wie umgehen mit den Taliban? Die Diplomatie der Tech-Riesen

Sendedatum: 26.08.2021 18:00 Uhr

Nicht nur Staaten überlegen, wie sie mit den Taliban in Afghanistan umgehen – auch die Tech-Plattformen müssen handeln.

von Konstanze Nastarowitz

Mit dem Aufstieg der Taliban in Afghanistan müssen sich auch die sozialen Netzwerke unbequemen und neuen Fragen stellen. Wem wollen sie eine Plattform geben und wen müssen sie "deplatformen", also der Plattform entziehen? In Afghanistan könnte nun bald eine Organisation an der Macht sein, die lange Zeit vor allem durch Gewalt und Unterdrückung von sich reden machte. Und die sozialen Netzwerke könnten ihr Sprachrohr werden.

Ex-Facebook-Lobbyistin Katie Harbath im Skype-Interview
War lange für Faceook tätig: Katie Harbath

Katie Harbath war früher selbst "Public Policy Director" bei Facebook. Sie und ihr Team haben weltweit daran gearbeitet, dass Regierungen Facebook nutzen. Im Interview mit ZAPP sagt sie: "Diese Situation ist der erste Test für viele dieser Unternehmen seit dem Deplatforming von Donald Trump und der Entwicklung neuer Regeln für den Umgang mit Staatsoberhäuptern."

Unterschiedliche Herangehensweisen

Bisher reagieren die sozialen Netzwerke sehr unterschiedlich auf die Aktivitäten der Taliban. Auf Anfrage von ZAPP erklärte beispielsweise Facebook, man entferne Accounts der Taliban. Ein Whatsapp-Sprecher erklärte, man sperre offizielle Taliban-Accounts. Man begründet dies auch mit den US-Sanktionen und bemüht sich um weitere Informationen durch die US-Behörden angesichts der sich entwickelnden Situation in Afghanistan. Doch scheinbar legen die Plattformen unterschiedliche Maßstäbe an: Auf Twitter sind weiterhin reichweitenstarke Accounts der Taliban aktiv – beispielsweise ihr Sprecher Suhail Shaheen mit mehr als 400 000 Followern und Tweets auf Englisch. Das ruft vor allem in republikanischen Kreisen in den USA auch Kritiker und Kritikerinnen auf den Plan: Sie werfen Twitter doppelte Standards vor. Trump darf nicht mehr twittern, die Taliban schon.

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Katie Harbath sieht die Tech-Konzerne in einem Zwiespalt. Es gebe eben die Tradition der Taliban, "die schrecklich ist". Aber: "Jetzt, wo sie versuchen, ein ganzes Land zu regieren, muss man abwägen zwischen dem Recht der Bürgerinnen und Bürger, diese Informationen von ihnen zu erhalten und mit ihnen zu kommunizieren und dem Wunsch, sie nicht zu legitimieren, solange sie nicht von anderen Regierungen anerkannt werden."

Übergabe von Regierungs-Accounts?

In den kommenden Wochen müssen die Tech-Konzerne fast schon völkerrechtliche Fragestellungen beantworten: Wie soll mit den Regierungs-Accounts umgegangen werden? Und wer ist eigentlich die Regierung Afghanistans? Manche afghanische Ministerien haben zum Beispiel auf Facebook eine aktive Seite mit vielen Followern. Auch die afghanischen Botschaften haben Facebook-Accounts, der geflohene Präsident Ghani betreibt einen Twitter-Account.

Jurist und Wissenschaftler Matthias C. Kettemann im Skype-Interview
Sieht die Plattformen in der Verantwortung: Matthias C. Kettemann

Der Plattformforscher Matthias C. Kettemann sieht die Plattformen als politische Akteure, die auch völkerrechtlich relevante Handlungen beeinflussen können. Er glaubt, dass die Staaten in den kommenden Wochen entscheiden müssen, wer effektiv die Macht in Afghanistan hat: "Und mit denen muss man dann reden und die Plattformen werden das wahrscheinlich auch so handhaben. Es gibt auch hier keine generelle Regel, aber ich erwarte, dass die Plattformen nach einer gewissen Übergangszeit auch der neuen Regierung Afghanistans die offiziellen Accounts überlassen werden."

Anders könnte es ausgehen, wenn die Taliban grobe Menschenrechtsverletzungen begingen oder die abgesetzte Regierung weiterhin über ihre Accounts versuche, mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Er fordert, dass die Plattformen den Dialog mit den Außenministerien und der Zivilgesellschaft suchen: "Sie haben eine große Macht. Auf ihnen werden Diskussionen geführt, die zu Völkermorden führen können. Auf ihnen werden aber auch Diskussionen geführt, die zu wichtigen politischen, demokratischen Fortschritten führen können. Und dieser Verantwortung müssen sie gerecht werden. Das geht nur, indem sie rechtsstaatlicher werden, transparenter werden, indem sie offener werden."

Schutz der Nutzerinnen und Nutzer

Und mit mehr politischer Verantwortung kommt auch eine Verantwortung für den Schutz und die Sicherheit der afghanischen Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Netzwerke: Öffentlich sichtbare Freundeslisten, Fotos und weitere Profilinformationen können womöglich eine Gefahr darstellen. Bei der Nichtregierungsorganisation "Access Now", die sich für digitale Rechte einsetzt, betreiben sie eine Helpline. Dort hören sie jetzt auch immer wieder von Anrufern und Anruferinnen aus Afghanistan, die sich bemühen, ihre Online-Profile zu sperren und Informationen zu reduzieren, die über das Internet öffentlich einsehbar sind.

Raman Jit Singh Chima im Skype-Interview
Besorgt um die Daten afghanischer Nutzer: Raman Jit Singh Chima

Raman Jit Singh Chima arbeitet für die Nichtregierungsorganisation. Im Interview mit ZAPP macht er deutlich: Gerade die Sorge um das eigene Smartphone und die dort gespeicherten Daten kenne man schon aus anderen Ländern wie Myanmar, jetzt auch aus Afghanistan. Früher verteufelten die Taliban zwar viel Technologie, heute jedoch würden sie selbst Smartphones nutzen, um zu kommunizieren und sich zu koordinieren. Sie wüssten also auch um die kritische Funktion der Geräte. "Access Now" hat auf seiner Website Hilfen zusammengestellt, mit denen afghanische Nutzer und Nutzerinnen versuchen können, ihre digitalen Spuren zu verwischen.

Einige Tech-Konzerne reagieren

Tatsächlich haben auch einige der großen Plattformen damit begonnen, auf diese angespannte digitale Sicherheitslage in Afghanistan zu reagieren. Clubhouse habe zum Beispiel Fotos und Profilinformationen afghanischer User zurückgesetzt, erklärte die Plattform. All diese Änderungen seien aber rückgängig zu machen. Auf Twitter verkündete ein Facebook-Mitarbeiter vergangene Woche, man arbeite an verschiedenen Möglichkeiten, afghanische Facebook-User zu schützen. Dazu zählten beispielsweise einfache Möglichkeiten, einen Account mit einem Klick zu schließen. Man habe auch eingeführt, dass zeitweilig keine Freundeslisten afghanischer Profile mehr eingesehen und durchsucht werden können. Für Instagram teilte Facebook mit, dass Nutzerinnen und Nutzer dort Benachrichtigungen mit Tipps bekommen, wie sie ihre Konten schützen können.

Die Plattformen stehen vor einem Dilemma: Sie können eigentlich nicht nicht handeln. Denn auch wenn sie abwarten und erstmal gewähren lassen, kann das bereits als politisches Statement aufgefasst werden und reale Konsequenzen vor Ort haben.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 26.08.2021 | 18:00 Uhr

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