Der Krieg um die Hashtags

Sendedatum: 19.05.2021 23:20 Uhr

Der aktuell aufflammende Nahostkonflikt ist auch ein Krieg um die Deutungshoheit in Sozialen Medien. Wie dieser verläuft, lässt sich insbesondere an zwei Hashtags ablesen, wie eine ZAPP-Datenanalyse zeigt. 

von Nils Altland und Lea Eichhorn

Im Krieg zwischen Israel und der Hamas spielen soziale Medien eine wichtige Rolle. Beide Seiten versuchen auf Twitter, Tik Tok, Instagram oder Facebook die internationale öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Immer wieder lassen sich auch reale Zusammenstöße im Konflikt auf virale Internetvideos zurückführen. 

Mit den Hashtags #IsraelUnderAttack und #GazaUnderAttack bekunden Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien, insbesondere auf Twitter, weltweit ihre Sympathie mit einer der beiden Parteien im Nahost-Konflikt. Spiegelbildlich zeigen sie, auf welcher Seite man sich positioniert. Doch diese Hashtags sind einseitig, denn sie benennen jeweils nur eine Partei in diesem vielschichtigen Konflikt. Beide sind nicht neu, sie lassen sich auf Twitter bis ins Jahr 2010 bzw. 2011 zurückverfolgen.

Die Entstehungsgeschichte

Tweets pro 15 Minuten © NDR
Die Gesamtzahl an deutschsprachigen Tweets mit den Hashtags #GazaUnderAttack oder #IsraelUnderAttack

Die Geschichte dieser beiden Hashtags erzählt viel über den Verlauf dieses Informationskriegs. Im Sommer 2014 twitterte die damals 16-jährige palästinensische Schülerin Farah Baker unter #GazaUnderAttack von ihren Erfahrungen im Bombenkrieg. Sie erlebte ihn in ihrem Zuhause im Gazastreifen, als die israelische Armee diesen unter Beschuss nahm. Baker erreichte mit ihren emotionalen Live-Berichten aus dem Krieg Millionen von Twitter-Nutzerinnen und -Nutzern weltweit und wurde damit zu einer prominenten, antizionistischen Aktivistin. Der Hashtag #GazaUnderAttack taucht seitdem in sozialen Medien immer wieder auf, wenn die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten zunehmen. 

Für den Social-Media-Strategen und Bundeswehr-Reservisten Paul C. Strobel ist der Hashtag #IsraelUnderAttack als direkte Antwort auf #GazaUnderAttack zu verstehen: “Um zu zeigen, dass es Israel ist, das angegriffen wird. Dieser Hashtag verkörpert dieses Narrativ, das Israel ein Recht auf Selbstverteidigung hat.” Israel ist laut Strobel aufgrund seiner regionalen Isolierung besonders auf ausländische Unterstützung angewiesen.

Die Datenanalyse

Auswertung von #IsraelUnderAttack und #GazaUnderAttack © NDR
Der Hashtag #GazaUnderAttack wurde bei deutschsprachigen Tweets insgesamt häufiger genutzt als der Hashtag #IsraelUnderAttack.

Der Datenjournalist Luca Hammer hat für ZAPP nun sämtliche Tweets mit den beiden Hashtags zwischen 10. und 17. Mai analysiert, um die Entwicklung der digitalen Fronten nachzuvollziehen. Im aktuellen Konflikt stieg die Verwendung beider Hashtags sprunghaft am Abend des 11. Mai an. Zwischenzeitlich wurden international bis zu 70.000 Tweets pro Viertelstunde abgesetzt, die einen der beiden Hashtags enthielten. Insgesamt waren es knapp acht Millionen Tweets. Im deutschsprachigen Raum waren es immerhin 300 Tweets pro Viertelstunde. Am Abend zuvor hatte die Hamas begonnen, Israel massiv mit Raketen zu beschießen. Die israelische Armee reagierte darauf mit dem nach eigenen Angaben stärksten Luftangriffen auf Ziele der Hamas seit 2014. Besonders pro-palästinensiche Accounts rufen untereinander dazu auf, den Hashtag #GazaUnderAttack zu verwenden.

Zunächst verzeichnete Twitter mehr deutschsprachige Tweets, die #IsraelUnderAttack beinhalteten. Doch #GazaUnderAttack holte schnell auf und war schon am 12. Mai zahlenmäßig überlegen. Im gesamten von ZAPP beobachteten Zeitraum wurde der Hashtag #GazaUnderAttack knapp 47.000 mal in deutschsprachigen Tweets verwendet, das israelische Pendant nur rund 7.000 mal. Ein Tweet kann den selben Hashtag allerdings mehrfach beinhalten - und tatsächlich, auf Twitter finden sich zahlreiche Tweets von pro-palästinensischen Accounts, in denen der Hashtag #GazaUnderAttack dutzendfach ausgeschrieben wird.

Unterschiedliche Social-Media-Strategien

Der Kommunikationsexperte Strobel beobachtet seit langem die militärischen Kommunikationsstrategien im Nahostkonflikt. Er sagt gegenüber ZAPP, der eklatante Unterschied in der Reichweite der beiden Hashtags liege auch in den Strategien beider Parteien: Israel verlässt sich auf eine zentralistisch gesteuerte Social-Media-Strategie. Da gibt es wenige offizielle Staatsaccounts, die das Ganze machen. Das erlaubt es Israel natürlich, einerseits eine sehr klare und einheitliche Botschaft in die Welt zu transportieren. Andererseits fehlt dann Reichweite in der Fläche, weil das wenige Accounts sind.

Über die ZAPP-Datenanalyse

Für diese Datenanalyse wurden 47.220 deutschsprachige Tweets untersucht, die von 19.300 Accounts zwischen dem 10. und 17. Mai gepostet wurden. Alle Tweets enthalten den Hashtag #GazaUnderAttack oder/und #IsraelUnderAttack. Wir haben uns bewusst für diese beiden Hashtags entschieden, um die Analyse zu vereinfachen. In der Debatte sind allerdings auch andere Hashtags populär, etwa #FreePalestine oder #IStandWithIsrael.

Die palästinensische Seite hingegen funktioniere laut Strobel im Netz eher wie eine Graswurzelbewegung: “Sprich eine Kampagne, die sich auf Privatpersonen und ihre Social-Media-Accounts stützt, die zwar nicht reichweitenstark sein müssen, aber in der Masse den wenigen offiziellen Accounts der israelischen Seite überlegen sind. Hier überwiegen persönliche Einblicke und Leidensgeschichten.” Zudem helfen der palästinensischen Seite einige große Influencer. So postet das US-amerikanische Model Bella Hadid auf ihrem Instagram-Account seit Tagen ausschließlich zur “Befreiung Palästinas” - und erreicht damit ganze 42 Millionen Follower.

Porträt von Paul C. Strobel © NDR
Social-Media-Stratege Paul C. Strobel

Im Zusammenhang mit den Raketenangriffen der vergangenen Woche schafft es der Hashtag #IsraelUnderAttack dennoch in die deutschen Twitter Trends. Strobel vermutet: das hänge mit mehreren viralen Fotos vom israelischen Luftabwehrsystem “Iron Dome” zusammen. Die israelische Armee verbreitet diese immer wieder über ihren Twitter-Account, offenbar um das Image der technologisch überlegenen Konfliktpartei zu prägen, die sich gegen terroristische Angriffe verteidigt.

Ausgewogene Posts in der Minderheit

Wer auf Twitter nach beiden Hashtags sucht, findet auch immer wieder Tweets von Nutzern und Nutzerinnen, die sich nicht für eine der beiden Konfliktparteien positionieren, sondern für ein Ende der Gewalt und eine friedliche Koexistenz eintreten. Diese verwenden häufig beide Hashtags. Die Auswertung von ZAPP zeigt jedoch: Nur knapp 560 deutschsprachige Tweets enthalten beide Begriffe, etwa ein Prozent aller untersuchten Tweets.

Nicht nur private Social-Media-Nutzer*innen verwenden diese Hashtags. Am 12. Mai twitterte das ARD Morgenmagazin: “Israel kommt nicht zur Ruhe - auch in der Nacht gab es mehrere Raketeneinschläge auf israelischem Territorium. Die Armee fliegt Vergeltungsschläge gegen palästinensische Ziele. Auf beiden Seiten sterben mehrere Menschen. #GazaUnderAttack.” Mehrere Nutzer kritisierten die Redaktion dafür:

Diese löschte den Tweet daraufhin und erklärte: 

Das Beispiel zeigt: Selbst ein inhaltlich differenzierter Post - immerhin schreibt das MoMa von “beiden Seiten” - kann durch einen dieser Hashtags eine Schlagseite bekommen. Möglicherweise sogar ungewollt. “Wer diese Hashtags nutzt, sollte sich hoffentlich auch über ihre Hintergründe im Klaren sein” mahnt daher Paul Strobel. Er empfiehlt daher ein “gesundes Maß an Zurückhaltung”, wenn man sich nicht von einer der beiden Seiten in diesem Krieg vereinnahmen lassen will.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 19.05.2021 | 23:20 Uhr

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