Warum Frauen auf Facebook verstummen
Jeder fünfte Deutsche checkt seinen Facebook-Account täglich, jeder dritte schaut laut der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie einmal pro Woche auf seinem Profil vorbei. Der User Fritz Schmitz dürfte diese Zahl bei weitem übertreffen: Er schreibt dagegen an, wenn sich andere User aufspielen, hinterfragt, recherchiert, entlarvt Lügen. An manchen Tagen mit über hundert Kommentaren.
Fritz Schmitz ist ein Pseudonym, seinen richtigen Namen möchte der Akkord-Kommentierer ZAPP nicht nennen, nicht einmal mit der Redaktion telefonieren. Nur im Chat gibt er Auskunft über die Diskussionskultur auf Facebook. Der Ton sei sehr hitzig. Er selbst lasse sich da auch noch viel zu oft mitreißen.
ZAPP Analyse: Wenig Kommentare von Frauen
Diskussionsbeiträge von Frauen nimmt Schmitz allerdings grundsätzlich als höflicher wahr. Oft sieht er solche Kommentare aber nicht, es sei eher männerlastig - und das könnte schon ein großer Teil der Erklärung für die aufgeheizte Stimmung sein, die er auf Facebook erlebt: Denn Frauen kommentieren viel seltener unter Facebook-Posts von Medienhäusern. Das ist das Ergebnis einer ZAPP-Analyse von mehr als 700.000 Facebook-Kommentaren.
Vom 23. Oktober bis 1. November 2017 sammelte ZAPP über die Programmierschnittstelle von Facebook alle Kommentare, die User unter den Beiträgen großer Medienhäuser verfasst hatten. Über den Vornamen der User wurde deren Geschlecht bestimmt. Im Schnitt stammen 53 Prozent der Kommentare von Männern, 36 Prozent von Frauen, bei elf Prozent handelte es sich um einen Namen, der mit unserer Methode nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuweisen war. Diese Kommentare könnten also sowohl von Frauen als auch von Männern stammen.
Das Meinungsspektrum auf Facebook ist verengt
Juliane Leopold überraschen die Ergebnisse nicht. Die freie Journalistin und Beraterin sieht in der ZAPP Recherche bestätigt, was Community-Redakteure und Social-Media-Teams täglich erleben: "Männer sind viel selbstbewusster, wenn es darum geht, ihre Meinung nach vorne zu bringen, selbst wenn sie sich nicht sicher sind, ob sie stimmt." Leopold glaubt nicht, dass das ungleiche Verhältnis nur für Facebook allein gilt.
Tatsächlich kam Emma Pierson, Statistikerin an der britischen Oxford-Universität, bereits vor einigen Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis wie ZAPP. Die Wissenschaftlerin untersuchte rund 900.000 Kommentare unter Artikeln der "New York Times" von Juni 2013 bis Januar 2014. Nur 28 Prozent der Teilnehmer konnte sie eindeutig als Frauen identifizieren: "Die abgebildeten Meinungen zeigen nicht die existierenden Meinungen", resümiert Pierson. Das habe direkte Auswirkungen, etwa darauf, wie viel Mitgefühl Opfern sexuellem Missbrauchs gegenüber geäußert werde.
"Bild" profitiert von "wahnsinnig vielen Inhalten"
In der ZAPP Analyse weist die "Bild" das ausgewogenste Geschlechterverhältnis auf. Andreas Rickmann, Social-Media-Chef beim Boulevardblatt, führt das auf das weit gefächerte Repertoire zurück: "Die Bild profitiert sehr davon, dass wir wahnsinnig viele Inhalte produzieren", sagt Rickmann. Unterschiedliche Themen sprächen Männer und Frauen unterschiedlich stark an.
Rickmann sind im Tagesgeschäft jüngst zwei Beispiele aufgefallen, die das deutlich machen: In einem Post ging es darum, warum Autofahrer auf einer dreispurigen Autobahn auf dem Mittelspur führen. Scrollt man durch die Posts, zeigt sich eine Männerquote von 80 bis 90 Prozent. Ein anderer Post im gleichen Zeitraum ruft Facebook-Nutzer dazu auf, Freunde zu verlinken, die doch mal wieder "Last Christmas" hören sollten. In den Kommentaren zu dem Aufruf liegt die Frauenquote hingegen bei 70 Prozent.
Es gibt also Räume auf Facebook, in denen Frauen sich durchaus austauschen. Die ZAPP Analyse kann derzeit noch nicht das Geschlechterverhältnis nach Post-Thema oder Ressort bestimmen. Doch dort, wo Redaktionen ausschließlich Inhalte für Frauen posten, prägen Frauen auch die Diskussion.
Beleidigungen hemmen Kommentare von Frauen
Doch warum verstummen Frauen dann auf so vielen anderen Kanälen? Geht man ins Detail, finden sich bei jedem Medienhaus äußerst frauenfeindliche Kommentare. "Frauen trauen sich ohnehin nicht, sich zu äußern, aber wenn sie es tun, werden sie dafür auch eher bestraft", sagt Journalistin Leopold. Das können Beleidigungen sein, negative Kommentare oder auch das Anzweifeln der fachlichen Eignung.
Solche Kommentare kennt auch Ayla Mayer zu Genüge. "Was immer wieder auftaucht, ist, wie viele Menschen anderen den Tod wünschen, einen möglichst grausamen Tod", sagt die Social-Media-Chefin von Spiegel Online. "Oder Vergewaltigungswünsche aussprechen und sich dann wundern, dass wir User sperren und Kommentare löschen." Viele seien sich keiner Schuld bewusst und beschweren sich beim Verlag, dass sie doch wohl ihre Meinung sagen dürften. "Das ist ein sehr männliches Phänomen", sagt Mayer, "viele haben das Verständnis dafür verloren, wo die Grenze zwischen Meinungsäußerung, Hass und Denunziation verläuft."
Bei Öffentlich-Rechtlichen dasselbe Bild
Die starke Männerdominanz findet sich auch bei Facebook-Auftritten öffentlich-rechtlicher Formate, zum Beispiel bei der "Tagesschau".
Auf ZAPP Anfrage antwortet Christiane Krogmann, Redaktionsleiterin von "tagesschau.de", dass das Geschlechterverhältnis unter den Fans der Seite ausgeglichen ist: 51 Prozent Frauen zu 49 Prozent Männern. Doch auch hier scheinen Frauen nicht gewillt zu sein, Kommentare zu schreiben.
Auch Krogmann stellt Themenpräferenzen bei Männern und Frauen fest: "Wenn es um polarisierende oder konfliktreiche Themen wie den Umgang mit Flüchtlingen, die Situation in der Türkei oder den Einzug der AfD in den Bundestag geht, dauert es oft nur wenige Sekunden, bis die ersten Männer den Beitrag kommentieren." Bei Themen wie sozialer Gerechtigkeit, Umwelt- und Familienpolitik sehe die "Tagesschau"-Redaktion wiederum einen höheren Frauenanteil.
"FAZ"-Werte entsprechen denen eines Männermagazins
Ob Facebook-Angebote aus dem bürgerlichen oder linken Lager kommen, spielt im Ergebnis der ZAPP Analyse keine Rolle: Die Kommentarspalten unter Posts der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) und der "tageszeitung" (taz) zählen zu den männlichsten überhaupt. Bei der "Frankfurter Allgemeinen" dominieren Männer sogar ebenso eindeutig wie beim Männermagazin "Men's Health". Auf eine Interviewanfrage von ZAPP reagierte die Zeitung nicht.
Bei der "taz", die die Ansprache oft dem Geschlecht anpasst, sorgt das Ergebnis hingegen für miese Stimmung: "Ach, scheiße", entfährt es Anna Böcker. Die Social-Media-Redakteurin der linken Tageszeitung hat es schon geahnt. Zwar versuche sie in der "kleinen Zeit", die sie dafür habe, durch Interaktion die männliche Dominanz etwas zu brechen, aber um wirklich etwas zu bewirken, bräuchte sie ein viel größeres Team. Die ZAPP Recherche bestärkt Böcker darin, in Zukunft noch stärker in den Facebook-Kommentaren präsent zu sein. Dass sie dabei eher Feuerwehr spielt, ist ihr bewusst.
Wer nicht präsent ist, schadet der Marke
Denn jeder, der einen Facebook-Account hat, darf kommentieren. Das Abschalten der Kommentarfunktion ist technisch nicht möglich. Es bleibt den Redakteuren nur, sich aktiv in eine Debatte einzubringen, ausfällige Kommentare zu verbergen oder zu löschen und Wiederholungstäter zu sperren. Bei Dutzenden Posts am Tag und Hunderten bis Tausenden Kommentaren ist das nicht nur mühsam. Es fehlt vielen Medienhäusern schlicht an Ressourcen, um gegen Tausende Facebook-User die Oberhand zu behalten. Die Kommentarschlacht beginnt täglich aufs Neue.
Das sagt auch Viel-Kommentierer Fritz Schmitz: "Schaut man sich das einige Zeit an, fällt auf, dass es im Kern immer dieselben, vorwiegend männlichen Poster sind." Schmitz glaubt, "dass eher wenige Frauen auf Facebook aktiv sind". Die ZAPP Analyse zeigt, dass sie zumindest weniger deutlich sichtbar sind.