Super-Mediathek: ARD-Chef sagt YouTube & Co. Kampf an

Stand: 06.11.2018 17:57 Uhr

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm lobbyiert für eine europäische Medienplattform als Alternative zu YouTube, Facebook und Co. Seine Vision ist groß, überzeugt aber nicht jeden.

von Daniel Bouhs

Ist seine Idee ein mutiges Projekt oder extrem naiv? Ulrich Wilhelm muss kurz lachen, dann folgt der Konter: "Für Naivität bin ich schon zu alt." Der ARD-Vorsitzende spricht lieber von einer Leidenschaft. "Es geht um etwas", sagt der Intendant des Bayerischen Rundfunks. Der Mann hat eine Mission: Er lobbyiert schon seit Monaten dafür, dass Medien in Deutschland und am Liebsten sogar in Europa ihre Kräfte bündeln - für eine Art "Super-Mediathek", die eine attraktive Alternative sein soll zu US-Giganten wie Google, YouTube, Facebook und Netflix.

Private Anbieter zeigen sich offen

"Hier geht es letztlich um den Zusammenhalt unserer Gesellschaften", sagt Wilhelm gegenüber ZAPP. "Es geht um die Werte, nach denen wir leben wollen. Um Glaubwürdigkeit von Inhalten, Qualität und die wiederherzustellende Unterscheidbarkeit von Desinformationen und Fakten." Ihm schweben deshalb auch Algorithmen vor, die Inhalte für Nutzer nach anderen Kriterien vorsortieren als die erfolgreichen Anbieter aus dem Silicon Valley und Seattle. "Ich bin wirklich davon überzeugt, dass wir eine europäische Alternative entwickeln sollten."

VIDEO: Wilhelm: "Für Naivität bin ich zu alt" (8 Min)

Wilhelm findet tatsächlich immer mehr Fans für seine "Super-Mediathek". Sogar private Sender wie der Konzern ProSiebenSat.1 zeigen sich offen - wenn auch zunächst für ein gemeinsames Portal für Deutschland. Die Verlegerverbände, die lange gegen die Onlineaktivitäten der ARD vorgegangen sind, prüfen die Idee, statt sie reflexartig abzulehnen. Und auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte vor Medienmanagern, er habe "immer davon geträumt, dass man eine Plattform errichten könnte - und warum sollten die Europäer da nicht mal führend sein? – wo (…) es möglich ist, dass Werbeeinnahmen nicht in die Kassen von Amazon und von Facebook gehen, sondern genau diesen Medien zugutekommen."

ZDF-Chef fürchtet um den Erfolg eigener Ausspielkanäle

Andere sind allerdings zurückhaltender. ZDF-Intendant Thomas Bellut sind Wilhelms Ideen noch viel zu vage. Er fürchtet zudem um den Erfolg der eigenen digitalen Angebote, die sein Sender über Jahre mit großer Kraft aufgebaut habe. "Die 'heute show' sehen mittlerweile 600.000 in der Mediathek, bei YouTube noch mal einige Hunderttausend. Das ist ein Zustand, mit dem ich leben kann", sagt Bellut gegenüber ZAPP. "Jetzt zu sagen, wir geben das alles auf für etwas anderes, ist mir viel zu früh und auch zu riskant." Zumindest aktuell schließe er sich dem Projekt daher nicht an.

VIDEO: Bellut: "Zu früh und auch zu riskant" (4 Min)

Auch der Berliner Digitalexperte und Autor Sascha Lobo ist skeptisch. Eine Plattform aus Europa sei "sehr notwendig und die Zeit auch in gewisser Weise reif", sagt er. Er mahnt aber, deutsche und europäische Medienmacher müssten zunächst anders denken. Er erinnert an das Prinzip "perpetual Beta", bei dem vor allem US-Anbieter ihre Produkte kontinuierlich weiterentwickelten. "Hier macht man ein Digitalprojekt und das ist irgendwann fertig und dann muss es erst mal am Markt bestehen, fast wie ein Gerät, das man ja auch nicht ständig weiterentwickelt".

Die Beta-Version der neuen ARD-Mediathek wirbt mit Videos vom "Tatort" und von "Babylon Berlin". © ARD Foto: Screenshot
Die "Super-Mediathek" ist noch nicht da, aber eine hauseigene Weiterentwicklung: Die Beta-Version der neuen ARD-Mediathek wirbt mit Videos vom "Tatort" und von "Babylon Berlin".
Wilhelm: "Ich halte es für realistisch, wenn Europa seine Kräfte bündelt"

Tatsächlich scheinen die US-Anbieter Europa technologisch und infrastrukturell meilenweit voraus, mit gigantischen Rechneranlagen auf dem gesamten Globus und Algorithmen, die mit riesigen Datenmengen weiterentwickelt wurden. Anbieter wie YouTube und Facebook ergänzen zudem ihre Plattformen permanent mit neuen Funktionen jenseits der eigentlichen Medieninhalte. So bietet Facebook seinen Nutzern neuerdings mit "Watch Party" an, gemeinsam mit dem Freundeskreis Videos zu sehen und dabei in der eigenen Gruppe live über die Videos zu chatten.

Ulrich Wilhelm spricht von 50 Millionen Euro, die eine europäische Medienplattform grob in der Entwicklung kosten dürfte. "Ich halte es für realistisch, wenn Europa seine Kräfte bündelt", sagt er. "Als Airbus noch ein Konzept war, sagte auch jeder, es ist völlig sinnlos gegen Boeing anzutreten."

 

VIDEO: Lobo: "Riesiger Entwicklungsetat für ARD/ZDF" (12 Min)

Sascha Lobo warnt allerdings vor solchen Vergleichen. "Damals musste man ein Dutzend Flugzeug-Einkäufer überzeugen und das war’s - und zwar Flugzeug-Einkäufer, die eine sehr große Übereinstimmung haben mit den jeweils nationalen Interessen, die man als Bundeskanzlerin ansprechen kann", sagt der Digitalexperte und mahnt: "Wenn man aber viele Millionen Bürgerinnen und Bürger überzeugen muss, dann ist es völlig egal, was Frau Merkel sagt. Und dann ist es total schnurz, ob irgendeine Internet-Ministerin sagt, das hier kommt aber aus Deutschland oder die Server stehen in Europa. Dann muss man sich im digitalen Alltag beweisen."

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