Stand: 19.06.2019 20:18 Uhr

Russland: Der Fall Golunov

von Mascha Rodé

Vor einer Woche kam der russische Investigativjournalist Ivan Golunov frei - nach sechs Tagen Haft und Hausarrest wegen angeblichen Drogenhandels. Ivan Golunov ist kein russlandweit bekannter und öffentlich auftretender Journalist. Er arbeitet für das unabhängige Online-Medium "Meduza" - hält sich eher im Hintergrund. Sein Fokus liegt auf der Korruption im Land. Seine letzten Recherchen drehten sich um die Verflechtungen russischer Behörden mit dem Bestattungswesen. Doch sein Ruf ist nicht nur unter Kollegen tadellos.

Angebliche Drogenfunde

Der russische Journalist Ivan Golunov. © NDR
Tränen der Freude und Erleichterung: Golunov nach seiner Freilassung.

Nach seiner Verhaftung läuft in den staatlichen Medien die Geschichte vom drogenhandelnden Journalisten an. "Drogenlabor in der Wohnung eines 'Meduza'-Journalisten gefunden" titelt eine Nachrichtenseite im Netz und "Rossija 24", ein Nachrichtenkanal, erläutert genau, welche Drogen man bei dem Journalisten im Rucksack und in der Wohnung gefunden haben will. Bilder der Drogenfunde von der Polizei inklusive. Doch die Angaben widersprechen sich, mehrmals muss sich die Polizei korrigieren.

Breiter gesellschaftlicher Protest

Und so regt sich sehr schnell Widerstand in der Gesellschaft. Viele glauben der Geschichte nicht, vermuten, man habe dem Journalisten die Drogen untergeschoben, ein Racheakt der Polizei, weil der Investigativjournalist sie in seinen Recherchen anprangert. Demonstrieren ist nicht erlaubt, aber sich jeweils mit einem Plakat aufstellen, erlaubt das Gesetz. Und so bilden sich vor dem Innenministerium und dem Gericht in den Tagen nach der Verhaftung lange Schlangen von Menschen mit Plakaten, die die Freilassung Golunovs fordern.

Regierungsnahe Medien ändern ihre Lesart

Der russische Journalist Ivan Golunov. © NDR
Proteste gegen die Behandlung von Ivan Golunov.

Die Widersprüche häufen sich und langsam beginnen auch staatsnahe Medien die Festnahme zu hinterfragen. Drei große nicht oppositionelle Wirtschaftszeitungen kommen mit identischem Titelblatt raus: "Wir sind Golunov" - in großen Lettern. Und auch das regierungsfreundliche Fernsehen kritisiert jetzt den Umgang mit dem Journalisten. Für den Freund und Kollegen Golunovs Sergej Erzhenkov ist das kein Zufall: "Als diese Schnitzer einfach zu viel wurden, haben diese Journalisten vermutlich einen Wink bekommen und haben dann angefangen sich mit T-Shirts mit seinem Namen abzulichten."

Und sie intonieren die neue Lesart: Der Vorfall müsse aufgeklärt werden, Russland sei ein Land, das die Pressefreiheit hochhält und man dürfe jetzt Golunov nicht zur Ikone machen, so Dmitirj Kiseljov, einer der bekanntesten TV-Journalisten und Befürworter der Putin'schen Politik.

Den Ärger nicht wert

Und der Russlandexperte und ehemalige Leiter des Moskauer Büros* der Heinrich-Böll-Stiftung Jens Siegert ergänzt: "Der Kreml will seit einigen Jahren zeigen, wir kämpfen gegen die Korruption. Das geht bis in relativ hohe Kreise, bis hin zu Ministern, der ehemalige Finanzminister sitzt inzwischen im Gefängnis, Gouverneure sind verhaftet worden. Hier geht es eher um untergeordnete Polizeigeneräle, also nicht wirklich die ganz große Ebene."

Sprich, das war den Ärger nicht wert - und Golunov kommt frei. Die Anklagepunkte werden fallen gelassen. Für einen Tag bestimmt so etwas wie Euphorie die Stadt. Doch diese hält keine 24 Stunden. Am kommenden Tag kommen zu einer nicht genehmigten Demonstration rund 2.000 Menschen zusammen, um für die Pressefreiheit und gegen Polizeiwillkür zu demonstrieren. Die Stimmung ist friedlich und gelöst, die Polizeipräsenz aber enorm. Und die Beamten gehen rabiat und scheinbar wahllos gegen die Anwesenden vor. Die Veranstalter zählen rund 500 Festnahmen. Aber vielleicht, so die Hoffnung unter Journalisten, bleibt dennoch das Gefühl, mit Solidarität und gemeinsamem Auftreten doch etwas erreichen zu können.

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*In einer früheren Version dieses Beitrags hatten wir geschrieben, Jens Siegert sei Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung gewesen. Er war aber nur Leiter des Moskauer Büros der Stiftung. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 19.06.2019 | 23:20 Uhr

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