Lokaljournalismus: Innovation gegen die Krise
Manchmal braucht es Krisen, um Platz für Neues zu schaffen: Beim Mindener Tageblatt treibt Geschäftsführer Carsten Lohmann den Wandel in diesen Tagen mit aller Energie voran. Denn die wirtschaftliche Situation ist so angespannt wie selten zuvor. Im Shutdown seien ihnen "Werbeerlöse pro Monat in Höhe von 40 Prozent abhandengekommen", berichtet Lohmann. Da die Unternehmen in den vergangenen Wochen kaum Anzeigen mehr schalteten, hätten sie bereits 600 000 Euro verloren.
Digtial Unit erschließt neue Kunden
Die traditionsreiche Lokalzeitung muss nun neue Wege gehen. Lohmanns Antwort auf diese Situation: Die "Digital Unit", in der Grafiker und Texter an neuen Werbeformaten arbeiten. Sie haben gleich zu Beginn des Shutdowns die schon vor anderthalb Jahren entworfene Internetseite "Kauflokal-Minden.de" ausgebaut: Eine Online-Plattform, über die Geschäfte, Restaurants und Handwerker auch im Shutdown Kontakt zu ihren Kunden aufnehmen können. Über 250 Einträge gibt es bereits, auch von Anbietern, "die ja nicht so klassisches Tageszeitungsklientel sind", berichtet Lohmann, "Shisha-Bars zum Beispiel".
Auch das Schuhhaus Niemann in Bückeburg, ein paar Kilometer von Minden entfernt, trägt sich sofort ein - und hat so während des Shutdowns 70 bis 80 Paar Schuhe pro Tag verkauft. "Total klasse" sei das gewesen, berichtet die Verkaufsleiterin Sonja Mues: "Kauflokal" habe die Kunden auf ihre Facebookseite geleitet. Dort hätten die ihre Schuhe betrachten und dann telefonisch oder per Whatsapp bestellen können – und der Lieferservice der Unternehmensgruppe JCC Bruns, zu der das Mindener Tageblatt gehört, hätte sie noch am selben Tag zum Kunden gebracht.
Traum von einem regionalen Amazon
Für Lohmann und sein Team ist das nur der erste Schritt. Sie träumen von einem regionalen Amazon, wollen die Seite "Kauflokal-Minden.de" langfristig zu einer Plattform ausbauen, auf der Geschäfte aus Minden und Umgebung ihre Waren verkaufen können - und Bruns Logistik liefert sie dann nach Hause. Praktisch wäre das gut möglich: "Wir sind jeden Tag an fast allen Haushalten hier im Kreis", sagt Logistik-Chef Oliver Geissler. "Wir holen Post ab, wir liefern Büromaterial aus und sind unterwegs mit etlichen Fahrzeugen, das können wir ganz leicht einbauen."
Doch bei den Geschäften und den Kunden hier in der Region gibt es Vorbehalte. Verkaufsleitern Mues vom Schuhhaus Niemann möchte "trotz alledem" ihre Kunden weiterhin "im Laden begrüßen". Und auch Kundin Bettina Gunzenhauser sagt, sie gehe "lieber selbst in Geschäfte und rede mit den Leuten", das finde sie "einfach besser".
Lohmann lässt sich von diesen ersten Reaktionen nicht irritieren. Der Journalismus braucht neue Finanzierungsmodelle - und Geschäftsführer wie er müssen die nun finden. Falls Kauflokal in der Region am Ende nicht angenommen werde, versuchten sie "halt das Nächste". Sie hätten gelernt nach "dem Prinzip "trial and error" die Dinge auszuprobieren".