Stand: 28.04.2016 12:29 Uhr

Warum wurde gegen Netzpolitik.org ermittelt?

von Daniel Bouhs
Markus Beckedahl  Foto: Daniel Bouhs
Markus Beckedahl betreibt den viel beachteten Blog Netzpolitik.org. Er bekam geheime Dokumente zugespielt und veröfffentlichte sie.

Nein, der Blogger Markus Beckedahl zögert nicht. "Wir hätten immer noch geleakt. Selbstverständlich", sagt der Gründer von das Blog Netzpolitik.org, der inzwischen den Spitznamen "Landesverräter" trägt. Zeitweise wurde entsprechend gegen Netzpolitik.org und Unbekannt ermittelt, nachdem die Redaktion Dokumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz online gestellt hatte, in denen es um Pläne zur stärkeren Überwachung des Internets ging.

Brisante These

Dabei wog auch bei dieser Enthüllung die Verantwortung womöglich noch deutlich schwerer als bekannt. Zumindest haben die Rechercheure des journalistischen Portals von Correctiv nun eine reichlich brisante These aufgestellt und tatsächlich mit plausiblen Indizien unterfüttert: Nicht Netzpolitik.org sei das eigentliche Ziel gewesen, sondern der Deutsche Bundestag.

Theorie stützt sich auf Bundesverfassungsgericht

Der Verdacht - Correctiv war er allein schon ein dicker "Exklusiv!"-Stempel wert - ist dieser: Gelänge der Nachweis, dass Geheimpapiere der Verfassungsschützer, die nur für die Augen des parlamentarischen Kontrollgremiums gedacht wären, aus diesem wiederum weitergereicht würden an Journalisten, dann könnte die parlamentarische Kontrolle ihr Ende finden. Eine Verschwörungstheorie? Zumindest stützt sich Correctiv unter anderem auf einen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, der da in aller Kürze heißt: Wären Parlamentarier geschwätzig, dann könnte dies tatsächlich ein Anlass dafür sein, ihnen fortan Geheimnisse einfach vorzuenthalten.

Könnte also auch ein "Leak" durch Journalisten die parlamentarische Kontrolle aushebeln? "Möglicherweise", sagt Beckedahl im Interview mit ZAPP. Allein: Bei den Unterlagen, die seine Redaktion gesteckt bekommen und publiziert habe, sei "statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit höher, dass es (das geleakte Material, d. Red.) aus der Exekutive kam". Immerhin habe "die Bundesregierung zugeben müssen, dass alleine im Verfassungsschutz eine dreistellige Zahl an Mitarbeitern Zugriff auf die Dokumente hatten, sowie eine weitere dreistellige Zahl in Ministerien und anderen Behörden der Exekutive".

VIDEO: "Darf der Verfassungsschutz massenhaft überwachen?" (5 Min)

Auch der Grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz bleibt zurückhaltend. Zwar sagt er ZAPP einerseits, man diskutiere "ernsthaft über diese Theorie, weil sie nicht vollkommen aus der Luft gegriffen erscheint". Andererseits sei das, was Correctiv da verbreite, "eben kein harter Fall, wo man wirklich sagen kann: Genau so war es. Dafür fehle jemand, der einem "die Geschichte aus dem 'Inner Circle' bestätigt".

"Üble Nachrede"

Dass parlamentarische Kontrolleure besonders fleißig Papiere durchstechen würden, wie es immer wieder erzählt würde, sei zudem "üble Nachrede", sagt von Notz. "Was stimmt, ist die These, dass es dort, wo Menschen zusammen sind,  auch die Möglichkeit gibt, dass Geheimnisse auch entweichen – was nicht richtig ist und teilweise auch gegen Gesetze verstößt. Dieses Problem gibt es auf parlamentarischer Seite, aber eben auch auf Seiten der Justiz und auf Seiten der Exekutive."

VIDEO: "Ein Angriff auf die Pressefreiheit?" (4 Min)

Im Fall "Landesverrat" von netzpolitik.org bleiben die Ermittlungen eingestellt und die mögliche Geschichte hinter der Geschichte vorerst Spekulation. Andere Rechercheure und ihren Informanten spüren unterdessen am eigenen Leib die Versuche, sie für ihren Dienst an der Öffentlichkeit zu bestrafen.

In Luxemburg stehen drei Männer vor Gericht, die maßgeblich an den Enthüllungen des sogenannten "LuxLeaks"-Skandals beteiligt gewesen sein sollen - zwei ehemalige Mitarbeiter der Unternehmensberatung PwC und ein französischer Journalist. Ihnen drohen bei Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft.

Suche nach Whistleblower

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt wiederum gegen ein preisgekröntes ARD-Team, das die illegale Ausfuhr von Heckler & Koch-Sturmgewehren nach Mexiko aufgedeckt hatte - wegen Geheimnisverrats. Bei solchen Ermittlungen geht es stets auch darum, mögliche Whistleblower etwa in Ministerien auffliegen zu lassen und am Ende möglichst auch zu bestrafen.

Spuren verwischen

Natürlich: Eigentlich wüssten sowohl Journalisten als auch ihr Publikum nur allzu gerne, wer der Öffentlichkeit Informationen zuspielt, und vor allem auch, warum. Dass aber die Herkunft geleakter Unterlagen mitunter sogar der demokratischen Kontrolle etwa der Geheimdienste schaden könnte, ist für Journalisten ein Grund mehr, die Spuren von Informanten so gut es geht zu verwischen. Netzpolitik.org-Chefredakteur Beckedahl hat es ohnehin am liebsten so: "Wir freuen uns natürlich immer über Dokumente, die auf Wegen zugespielt werden, die sehr kreativ sind und wo wir auch keine Rückschlüsse auf Quellen finden."

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Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 27.04.2016 | 23:20 Uhr

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