Coronakrise: Achterbahnfahrt für den Lokaljournalismus
Seine Erwartungen wurden mehr als übertroffen: Staunend blickt der Chefredakteur der "Ostfriesen-Zeitung", Joachim Braun, auf die digitale Anzeige-Tafel im Großraumbüro. Darauf zu sehen: die Zahl der Online-Aufrufe. In diesen Tagen nutzen gleich dreimal so viele Leser wie sonst das Online-Angebot. Auch die Zahl der Digital-Abonnenten ist in die Höhe geschnellt: von weniger als 100 Abschlüssen im Februar auf über 500 neue Abschlüsse im März. Der Grund: Im Februar hat die Redaktion ein Einstiegsmodell für einen Euro im Monat eingeführt. Dann kam die Corona-Krise. "Ohne die", so Braun, "wären die Zahlen ganz sicher nicht so hoch."
Die "Ostfriesen-Zeitung" hat nun eine "Corona-Task-Force" gegründet. Zwei Mitarbeiter erstellen regelmäßig eine Liste an Themen rund um die Pandemie, die sie an ihre Kollegen im Home-Office weitergeben. Von rund 30 Mitarbeitern sitzen am Montag nur acht in den Redaktionsräumen. Ein Mitarbeiter will herauszufinden, wie viele Intensivbetten es in Ostfriesland gibt. Die Recherche ist mühsam: Kaum jemand ist noch im Büro, manche Ansprechpartner sind sogar nur per E-Mail erreichbar.
Das Lokale findet kaum noch statt
Doch während es rund um die Pandemie viel zu berichten gibt, schrumpft die Zeitung: am Montag von 32 auf 24 Seiten. Der einst acht bis zehn Seiten starke Sportteil - nur noch eine Doppelseite. "Die Lokalpolitik steht still, Veranstaltungen finden nicht statt", erklärt Braun. "Und die Sportjournalisten berichten vor allem über das, was früher mal war." Von den fünf zuständigen Redakteuren arbeiten derzeit nur zwei. Die anderen bauen freie Tage ab oder nehmen schon jetzt Urlaub.
Das Leserinteresse wächst - gleichzeitig bangt die "Ostfriesen-Zeitung" um ihre finanzielle Grundlage. Wie viele andere regionale Zeitungen ist sie von Anzeigenkunden abhängig. Wenn Geschäfte schließen müssen, schalten die Inhaber aber keine Anzeigen mehr. Geschäftsführer Robert Dunkmann rechnet für dieses Jahr mit einem Verlust von bis zu fünf Millionen Euro. Fast die Hälfte des gesamten Jahresumsatzes.
Alle müssen verzichten
Trotzdem hat die "Ostfriesen-Zeitung", anders als andere Verlage, noch keinen Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen. Dunkmann will allerdings ein Solidaritätsmodell einführen: jeder Mitarbeiter kann freiwillig auf Arbeitszeit verzichten und so anteilig auch auf Gehalt. Ein Vollzeit-Mitarbeiter hätte so anstatt einer 40-Stunden-Woche beispielsweise nur 35 Stunden Arbeitszeit. Klar ist: Ohne Sondermaßnahmen wird es auch die "Ostfriesen-Zeitung" nicht durch die Krise schaffen.
Chefredakteur Braun will trotzdem nach vorne blicken. "Unsere Aufgabe als Regionalzeitung ist es jetzt auch, Zuversicht zu vermitteln." Nach innen - und nach außen. Etwa, indem in der Zeitung eine Serie über Gartenteich-Tipps beibehalten wird. "Denn es wird eine Zeit nach Corona geben", sagt Braun, "auch für die Ostfriesen-Zeitung."