"Was ist aus der weltoffenen Nation geworden?"
Harte Finanz- und Europapolitik, Regierungskrise in Irland, aber auch Hofknicks, royale Skandale, Fuchsjagd und Promigeschichten: Über all diese Themen und viele mehr berichten die Korrespondenten in Großbritannien. Julie Kurz ist seit 2015 Korrespondentin im ARD-Studio in London. Im Interview erzählt sie von Klischees, die keine sind, kulinarischen Genüssen wie grüner Soße und herrlichen Ausblicken.
Auf Twitter können Sie Julie Kurz folgen unter: @juliekurz.
Frau Kurz, was hat Sie bis jetzt in Ihrer Korrespondenten-Wahlheimat am meisten beeindruckt?
Julie Kurz: Mich beeindruckt wie höflich und freundlich die Londoner sind. Es wird nicht gedrängelt, nicht gemotzt und das, obwohl das Leben hier für viele hart ist: teure Mieten, lange Anfahrtswege, überfüllte U-Bahn. Da stimmt das Klischee vom höflichen Briten mit der Wirklichkeit eins zu eins überein. Was aber vor allem bemerkenswert ist, dass sich alle Neuankömmlinge, die von überall auf der Welt kommen, anpassen.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Kurz: Schockiert ist ein großes Wort, sagen wir mal mit Verwunderung habe ich zur Kenntnis genommen, dass bei der Flüchtlingskrise, die Briten mit großen Augen nach Deutschland schauen, aber die meisten nicht wirklich auf die Idee kommen selber was zu tun - zu helfen, sich zu engagieren. Da frage ich mich, was ist eigentlich aus der großen und weltoffenen Nation geworden?
Welche Geschichte wollen Sie unbedingt in Ihrer Zeit als Korrespondentin erzählen?
Kurz: Wenn’s auf Drehreise geht, dann haben mein Tonkollege und ich die Tradition Fish ’n‘ Chips zu essen. Nun habe ich letztens gelesen, dass es den besten Fish ’n‘ Chips-Shop am äußersten Zipfel von Großbritannien gibt: auf den Shetland Inseln. Da wollte ich sowieso mal hin. Die Landschaft muss atemberaubend sein. Das Problem ist nur, dass die Bewohner da in der Regel ihre Ruhe haben wollen - genau deshalb sind sie ja dorthin gezogen - daher sind sie auf Kamerateams eher nicht gut zu sprechen. Aber ich bleibe dran ...
Was ist die größte Herausforderung für die Zusammenarbeit mit den Redaktionen in Deutschland?
Kurz: Die Redaktionen von den Geschichten zu begeistern. Schließlich müssen sie ja den Sendeplatz freimachen.
Was haben Sie bei jeder Drehreise dabei?
Kurz: Den Satz eines Kameramanns: 'Wenn alles glatt läuft, könnte ja jeder Journalist werden'.
Was war bisher die größte Panne, die Ihnen widerfahren ist?
Kurz: Ach, das ist doch wie die Stärke/Schwäche-Frage im Vorstellungsgespräch: Ist die Panne zu klein, wirkt das lächerlich. Ist sie zu groß, dann wirkt es unprofessionell. Da sage ich doch lieber 'mir fällt nix ein'.
Mussten Sie aus Höflichkeit bei einer Drehreise schon mal Merkwürdiges essen oder trinken?
Kurz: Letzte Woche erst, da habe ich zum ersten Mal Pie and Mash (Anmerk. der Red.: Rinderhack in Blätterteig mit Kartoffelpüree und Petersiliensoße) gegessen. Das ist ein typisches, britisches Arbeitergericht. Sieht erst mal komisch aus - vor allem die grüne Sauce - schmeckt aber gar nicht schlecht.
Welcher ist Ihr Lieblingsplatz in London?
Kurz: Meine Wohnung hat Zugang zu einer Gemeinschaftsdachterrasse. Man hat dort einen Blick auf altes und neues London: Von der St Paul‘s Cathedral bis zum höchsten Gebäude der Stadt, dem Shard. Und wenn das Wetter gut ist, kann man noch die Spitze vom London Eye erahnen. Ein fantastischer Ausblick. Noch schöner ist er, wenn man ihn mit jemandem teilen kann. Und so freue ich mich besonders, wenn ich meine Nachbarn dort antreffe. Die Bewohner des Hauses sind genau wie die Stadt kosmopolitisch: Litauer, Mexikaner, Inder, Brite und eben ich als Deutsche.
Wie sieht für Sie ein perfekter Sonntag aus?
Kurz: Da bin ich anspruchslos. Ich freue mich schon, wenn nicht schon um 8 Uhr morgens die Tagesschau anruft und ich in Ruhe die Wochenendzeitungen lesen kann, die sind ein wahres Lesevergnügen. Da gibt’s wirklich alles neben Politik und Kultur, auch Ausflugsziele und besonders freue ich mich immer über die köstlichen Kochrezepte. Da soll noch einer über die britische Küche schimpfen. Wenn nicht gekocht wird, bin ich manchmal auf einer der zahlreichen Tennisanlagen in den wunderschönen Parks. Vor allem sonntags ist das ein wahres Spektakel. Fast alle tragen weiße Kleidung. Da fühlt man sich wie in Wimbledon. Der britische Tennisstar Andy Murray hat daher übrigens mal zu Recht beklagt, dass der Sport in Großbritannien immer noch zu elitär ist und es zu wenig öffentliche Plätze gibt.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Kurz: Das Schöne ist, ich wohne zwar auf einer Insel, aber wenn die Sehnsucht nach Freunden und Familie zu groß wird, komme ich auch wieder runter. Von daher bin ich hier wunschlos glücklich.